Am 9. September jährt sich zum 250. Mal ein Ereignis, das zu den grössten Unfällen der Oltner Geschichte gehört: Beim Untergang des sogenannten Studentenschiffs im Jahre 1770 verloren um die 30 der insgesamt 88 Passagiere ihr Leben.
Während rund fünf Jahrhunderten, bis ungefähr 1850, herrschte auf der Aare ein regelmässiger und geordneter Waren- und Reisenden-Verkehr. 6000 bis 8000 Schiffe und Flösse pro Jahr fuhren in der Hochblüte der Aare-Schiffahrt am Städtchen Olten vorbei, zwischen der Alten Brücke und der Rankwaage reihte sich in diesen Zeiten Ladung an Ladung. Die Schiffleute waren in Zünften und Gesellschaften organisiert, über jene in Olten existiert ein Vertrag vom 31. Mai 1708, in dem vereinbart wurde, dass die Gemeinschaft nicht mehr denn sieben Mitglieder haben soll. Die Arbeit der Oltner Schiffleute bestand in erster Linie im Salztransport, was allerdings wiederholt zu Beanstandungen führte, weil man, anstatt in Brugg das dortliegende Salz einzuschiffen, andere Waren führte.
Aus jener Zeit datieren auch die Überlieferungen der grössten Schiffsunglücke auf der Aare zwischen Solothurn und Aarau, die allerdings deutlich weniger Opfer forderten als die Katastrophe vom 5. September 1687, bei der zwischen Aarberg und Büren 111 hugenottische Flüchtlinge ums Leben kamen.
Am Brückenjoch zerschellt
Der erste grosse Unglücksfall in Olten ereignete sich am 8. November 1730, morgens um sieben Uhr, als das Marktschiff Olten – Aarau mit etwa 26 Personen an Bord beim Wenden an ein Brückenjoch fuhr und zerschellte. Zwölf Mitreisende fanden dabei den Tod, worunter neun aus Olten. Schiffmann Konrad Bürgi und dessen Sohn Maritz konnten nicht gerettet werden, überlebt hat hingegen Schiffmann Hans Joggi Kretz. In der Untersuchung sagten die meisten aus, dass das Schiff nicht überladen und grundsätzlich in Ordnung gewesen sei. Der Schultheiss setzte sich für Kretz ein, so dass dieser ohne Strafe davonkam. Ihm wurde lediglich eingeschärft, in Zukunft mit den Schiffahrten behutsamer und vorsichtiger umzugehen.
Zu den Waren, die nach dem Untergang gefunden wurden, gehörten unter anderem ein Fass mit Stoffresten, Seide, ein wollenes rotes Tuch, zwei Körbe voller Hüte sowie sechs Päckli Strümpfe.
Traditionelle Fahrt in die Ferien
Etwa 30 Todesopfer forderte die Katastrophe am Sonntag, 9. September 1770. Traditionsgemäss am Tag nach Maria Geburt zogen die Studenten aus Freiburg und Solothurn in die Ferien, weshalb das «Studentenschiff» seinen Namen erhielt. In jenem Jahr befanden sich nach Angabe der Schiffsleute 88 Personen auf dem Schiff, wovon über 20 Studenten aus dem Kollegium in Solothurn, die ins Freiamt oder in die Ostschweiz zurückreisten.
Als das Schiff etwa um halb elf Uhr in Olten landen wollte, führte die Aare Hochwasser. Der Schiffsmann verfehlte zweimal das ausgeworfene Seil und das dritte Mal konnte das Seil nicht mehr gehalten werden, weshalb es am Joch anschlug, beschädigt wurde und kippte.
Ein Teil der Passagiere und die vier Schiffsleute vermochten sich an Land zu retten. Andere hielten sich an schwimmenden Resten des Schiffes fest und schwammen bis gegen die Rankwoog, wo sie gerettet wurden. Der verbliebene Teil des beschädigten Schiffes wurde in den folgenden Tagen bei Winznau gefunden. Die Schiffleute am Ufer nahmen ein Halbschiff und drei Weidlinge und fuhren in Richtung Aarau. Die Aarefähren wurden sofort benachrichtigt, und zwei Schiffsleute suchten auch in den folgenden Tagen die Aare nach Ertrunkenen ab. Verschiedene Leichen wurden bei der Rankwoog, im Gösger und Winznauer Schachen angeschwemmt, und man zählte letztlich etwa 30 Todesopfer, worunter 24 mit Namen bekannt sind.
Hochwasser als Ursache
Wie schon 1730 erteilte der Rat von Solothurn dem Schultheissen von Olten den Auftrag, den Vorfall zu untersuchen. Die Befragung von Geretteten und die Verhöre der Schiffsleute, die zum Teil an Land Augenzeugen waren, ergaben, dass von den Schiffsleuten niemand betrunken war. Als Hauptgrund wurde das Hochwasser angeführt. Das Schiff trieb zu schnell und wendete zu spät. Statt dreien war nur ein Seil vorhanden und dieses, ein Barchentseil, viel zu schwer. Das Schiff selber sei wohl alt gewesen und habe das Wasser etwas durchgelassen, sei aber sonst in Ordnung und nicht überladen gewesen.
Die grösste Schuld, die man den Schiffsleuten zuschrieb, war, dass der vierte Ruderer, Franz Meyer, ein des Ruderns unkundiger Knabe von nur 15 Jahren war. Aufgrund des Fürbitteschreibens des Oltner Schultheiss Karl Glutz und aufgrund fehlender Akten ist davon auszugehen, dass man sie straflos liess.
Vorfahren der Kaufleute
Bemerkenswert an diesem Ereignis ist die Beteiligung des Schiffmeisters Viktor Meyer aus Olten. Die Schiffleute Meyer bildeten im 16. Jahrhundert den neuern Stamm der Oltner Familien gleichen Namens und stehen mit den ältern in keiner ursprünglichen Verwandt schaft. Begründer der Familie in Olten war Schulmeister Victor Meyer (15921654). Bereits in der dritten Generation ist erstmals Beruf Schiffmann erwähnt, als 1669 Victor Meyer der Jüngere der Schiffleute-Zunft beitrat. Während zwei Jahrhunderten gingen rund zwei Dutzend Schiffleute aus sechs Generationen aus dieser Familie hervor, worunter auch der Führer des Unglücksschiffes von 1770. Als die neu aufkommende Eisenbahn den Flussverkehr zum Erliegen brachte, wandten sich die Meyers dem Handel und Verkauf zu, zunächst mit einer Sattlerei und bald mit einem Krämerladen, aus dem die spätere, bestens bekannte Victor Meyer AG an der Oltner Hauptgasse entstand.
Quellen: «Die Schiffskatastrophen von Olten in den Jahren 1730 und 1770» von Arnold Klemens (Jahrbuch für solothurnische Geschichte 1966). «3 Jahrhunderte Schiffleute-Kaufleute Victor Meyer» von Eduard Fischer (Oltner Neujahrsblätter 1962). «Geschichte der schweizerischen Binnenschifffahrt im Gebiet der Juraseen und Aare» von Gotthold Appenzeller (Mitteilungen des Historischen Vereins des Kantons Solothurn 1922).