«Wenn zwei sich streiten …» – die Geschichte des Vogelherdclubs Oensingen (VCO), der in diesem Jahr sein 100-jähriges Bestehen feiert, wäre äusserst lückenhaft ohne den Bezug zum rivalisierenden Ravellenclub (RCO). Der anhaltende Konkurrenzkampf, der zwischenzeitlich sehr heftige Züge annahm, sorgte für eine Entwicklung von der Tradition der Fasnachts-Höhenfeuer bis zur Sonnwendfeier der Gegenwart mit ihrem einmaligen Feuerwerks-Ping-Pong.
Höhenfeuer, die zum Frühlingsanbruch sowie zum Sommer- und Winterbeginn entfacht wurden, sind urkundlich erstmals im 15. Jahrhundert erwähnt. Daraus entstanden die Feuer am Sonntag der alten Fasnacht sowie am 1. August, ein Brauch, den man in Oensingen über Jahrhunderte pflegte. Die Tradition wurde von Generation zu Generation weitergegeben, in den beiden Ortsteilen Oberdorf und Unterdorf unabhängig und zunehmend mit dem Bestreben, die andere Seite zu übertreffen und noch schönere Höhenfeuer aufzustellen und zu entfachen.
Topografischer Nachteil
Damit war der Oensinger «Feuerwettstreit» geboren, wobei sich die Unterdörfler des VCO bald bewusst waren, dass ihre Feuer auf dem Vogelherd weniger gut zur Geltung kamen als jene auf dem dominanten Felsen der Ravelle. In den 1910er-Jahren entschlossen sie sich deshalb, das Feuer mit Feuerwerk zu er gänzen und beschafften das nötige Geld unter anderem mit Maskenlaufen sowie dem Verkauf von Rauchwaren oder Schuhbändeln. Weil daraus das Bedürfnis entstand, eine Kasse zu führen und sich besser zu organisieren, bildete man im Kriegsjahr 1916 einen Verein mit Linus Obrecht als Präsident.
Verschollene Protokolle
In dieser Zeit gründeten die jungen Männer innerhalb des VCO sogar einen Pistolenklub und eine Armbrustschüt zenabteilung, allerdings wurden diese Aktivitäten offenbar kurze Zeit später wieder aufgegeben. Entsprechende Dokumente und Protokolle für die ersten fünf Jahre und auch für die «Rekonstitutionsversammlung» 1919 fehlen, weshalb der VCO schon bald das älteste vorhandene Versammlungsprotokoll und damit den 2. Februar 1921 als Gründungstermin definierte. Wie die ersten Feuerwerksversuche ausgesehen haben, ist unklar. Bekannt ist, dass 1919 die zehn Raketen rund 30 Franken kosteten – für diese Summe musste ein Maurer damals rund zweieinhalb Tage arbeiten.
Holz sammeln und ein strenges Vereinsregime
Obwohl die ersten Statuten erst 1936 genehmigt wurden, herrschte in den Anfängen ein straffes Regime. Erwachsene Mitglieder bezahlten zu jener Zeit einen Beitrag von 30 Rappen, der Austritt kostete mit einem Franken (!) mehr als das Dreifache. Was allerdings kein grosses Thema war: Der Verein schuf ein Zusammengehörigkeitsgefühl, bildete eine wichtige soziale Stütze. Dazu gehörte, dass man sich von März bis 1. August sowie anschliessend bis zum Altfasnachts-Sonntag jeden Sonntag zum Holzsammeln traf und anschliessend die Kameradschaft pflegte.
Bemerkenswert ist dazu eine Notiz vom Sonntag, 23. Juli 1923: «Auf der Vogelherd wird ein Feuer gemacht. Es werden vier Flaschen Bier gekauft, die unter diejenigen verteilt werden, welche beim Holzsammeln und beim Aufschichten des Feuers dabei sind. Das Bier wird erst getrunken, wenn das Feuer niedergebrannt ist.»
In diesen Jahren wurden auch die ersten Mörser für die Böllerschüsse angeschafft und bereits tagsüber beziehungsweise um Mitternacht oder 1926 um fünf Uhr morgens geschossen. Die Investitionen ins Feuerwerk nahmen kontinuierlich zu: 1921 wurden bereits für 51 Franken Feuerwerkskörper gekauft, ein Jahr später für 60 Franken – ein einfacher Fabrikarbeiter hätte dafür mehr als einen Wochenlohn hinlegen müssen. Dazu wurden übrigens zwei Liter Petrol für 80 Rappen, für 15 Franken ein Fass Bier und ein Dutzend Würste für 3.60 Franken besorgt. Die Holzbeschaffung für die Höhenfeuer blieb allerdings nach wie vor die zentrale Aufgabe.
Konkurrenz und Reibereien
«Schon seit längerer Zeit zeichneten sich Reibereien ab zwischen den beiden Klubs», beginnt der Eintrag in der Vereinschronik zum Jahr 1933. Was sich in jenem Jahr darin zeigte, dass die Oberdörfler dem VCO die Putzfäden aus den vorbereiteten Holzfeuern entwendeten. Und zwei Jahre später sägten zwei RCO-Mitglieder die neue, 18 Meter hohe Fahnenstange der Unterdörfler um – die Urheber konnten jedoch rasch ermittelt werden, weil sie die Säge aus dem nächstliegenden Haus gestohlen hatten. Auch um die Gunst der Bevölkerung kämpfte man mit harten Bandagen, unter anderem mit Inseraten und Zeitungsberichten. Wobei aus einem VCO-internen Rückblick auf die Sonnwendfeier die Wahrheit zumindest etwas durchschimmerte: «Die Raketen und Bomben waren wieder etwas auserlesenes. Eine nach der andern pfiff durch die kühle Abendluft, bis alle 24 Stück ihre Meinung geäussert hatten. Der Ravellenclub liess nicht einmal die Hälfte in die Höhe … Sie liessen dies Jahr wirklich schöne Exemplare abfeuern …»
Gemeinsame Organisation
Jahr für Jahr versuchten die beiden Klubs, sich am Sonntagabend der alten Fasnacht mit dem Feuerwerk zu übertreffen – allerdings in der Abfolge unkoordiniert, weshalb der Ruf nach einem gemeinsamen Programm immer lauter wurde. Über mehrere Jahre fanden immer wieder Gespräche statt, an denen gemäss Protokollen manchmal sehr heftig gestritten wurde.
Erst als sich die Gemeinde einschaltete und vermittelte, kam es zu ersten Absprachen, wobei in diese Zeit auch die Abkehr von der alljährlichen Durchführung fiel. 1955 sowie 1957/58 gabs kein Feuerwerk, später stritt man sich über den nächsten Termin, wer beginnt und wer den Schlusspunkt setzen darf. Schliesslich wurden 1968 mit der Sonnwendfeier die 1000-Jahr-Feierlichkeiten in Oensingen eröffnet und gleichzeitig der Drei-Jahres-Turnus etabliert.
Die Bezeichnung «Sonnwendfeier» hatte sich zwar schon in den Dreissigerjahren eingebürgert, doch die Ansetzung auf ein Datum zum Frühlingsbeginn erfolgte erst 1988 auf Antrag des VCO. Es war die letzte grosse Veränderung in der Geschichte des traditionellen Anlasses – bis zur pandemiebedingten Verschiebung in diesem Jahr.
Von Sprengstoff, glimmenden Stumpen und vertraulichen Finanzen
Die Geschichte des Vogelherdclubs ist auch eine Geschichte der Feuerwerkstechnik, wie Ruedi Meise (Präsident 1993 bis 2006) und Hans Schnider (ab 2007) als oberste Pyrotechniker des Vereins erläutern. «In den Anfängen gestaltete der VCO das Feuerwerk selber, 1937 war erstmals die Firma Hamberger aus Oberried beteiligt», zitiert Meise aus den Annalen. «In die Stahlmörser schüttete man glühende Kohle und liess die Bomben von oben reinfallen wie bei einem Minenwerfer», erklärt Schnider. «Als Explosivmasse wurden Schwarzpulver und später Sprengstoff benutzt.» «Da war aber noch nichts von Choreografie und Genauigkeit», fügt Meise an. «Jemand rief eine Nummer, und diese Bombe hatte man aus dem Holzkistli zu nehmen.» Später konnten die Bomben mittels Zündschnur, die aus dem Abschussrohr hing, ausgelöst werden. «Da ging man, auch als Nichtraucher, mit dem glimmenden Stumpen herum und zündete aus nächster Nähe.»
«Blindflug» im Unterstand
Ein sicherheitstechnisch bedeutender Schritt erfolgte mit der Einführung der elektrischen Zündung. «Am Bord unterhalb des Neuwegs, wo wir auf rund 500 Metern unser Feuerwerk aufstellen, wurden Unterstände errichtet und dorthin unzählige Kabel gezogen. Per Funk kam der Befehl zum Abfeuern, das war noch richtiges Handwerk», erläutert Meise. Gesehen haben die dort Engagierten das Feuerwerk jedoch nicht. «Der Vater kam jeweils nach Hause und hat die Mutter und mich gefragt, wie es gewesen sei», erinnert sich Barbara Meise.
Seit 2003 werden die Feuerwerke per Funk ausgelöst, von einem zentralen Standort vor den Schulhäusern an der Jurastrasse, wobei mittlerweile die ein zelnen Sequenzen programmiert sind und die Abschüsse computergesteuert erfolgen. Rund vier Tonnen Explosivmasse wurde bei den letzten Ausgaben gezündet. «Für den VCO war es jedoch immer wichtig, selber aktiv und involviert zu sein. Deshalb sind wir auch ausgebildete Pyrotechniker und immer wieder an anderen Orten in der ganzen Schweiz als Feuerwerker engagiert», sagt Meise.
Ein immenser Aufwand
«Wir machen mit der Sonnwendfeier nicht das grosse Geld», sagt Präsident Schnider. Die Mitglieder leisten pro Jahr 2500 bis 3000 Fronstunden, dazu erfolgt jeweils vor dem Anlass ein Hauseinzug. Selbst wenn bei guten Verhältnissen 20 000 bis 30 000 Zuschauer präsent sind, so hat der Ticketverkauf räumliche Grenzen. «Ein Hauptteil davon geht an das Gesamt-OK für Marketing, Sicherheit und Rahmenprogramm, das Feuerwerk bezahlen die beiden Vereine jedoch selber.»
Und was kostet der ganze Spass? «Das bleibt in einem sehr kleinen Kreis vertraulich, nicht mal ein gewöhnliches Vereinsmitglied kennt diese Zahlen», sagt Meise. Das finanzielle Risiko für das Feuerwerk liegt bei den Klubs. «Mengenmässig sind wir wohl am Anschlag, es geht ganz klar in Richtung mehr Qualität als Quantität», fügt Schnider an. «Manchmal ist es ein ganz kleiner Effekt, der am meisten in Erinnerung bleibt.»