Jedes Kind weiss es: «Mit der Schere in der Hand rennt man nicht!» Lernen wir in der Schule, hören wir von Lehrern und Eltern. Auch ich habe das als Kind gelernt. Und dennoch bin ich heute mit einer Schere in der Hand am Joggen. Kind, mit einer Schere in der Hand rennt man doch nicht! Umkehren? Weiterlaufen? In mir drin disputieren das Kind von damals, der Lehrer und mein erwachsenes Ich. Die Erwachsene entscheidet. Sie hat die Gefahren abgewogen und überprüft, ob das als Kind Gelernte auch für die Erwachsene gilt. Und dann grünes Licht für die Schere gegeben. So laufe ich unbeschadet weiter und stelle einen schönen Wiesenblumenstrauss zusammen, ohne dabei sämtliche Blumen mitsamt den Wurzeln ausrupfen zu müssen.
«Nur bei Grün – den Kindern ein Vorbild », steht an einer Ampel, bei der ich oft die wenig befahrene Strasse überquere. Meist bei Rot. Ich sehe einfach keinen Sinn darin, zu warten, bis Grün ist, wenn da nirgendwo ein Kind, geschweige denn ein Auto zu sehen ist. Auch hier entscheidet die Erwachsene. Das verstehst du nicht. Halte dich immer an die Regeln. Folge mir. Frag nicht so viel. Denk nicht so viel. Das kannst du nicht. Das ist halt so.
Ist das wirklich so? Ist es nicht unsere Pflicht als Erwachsene, immer wieder zu hinterfragen, ob Alt-Hergebrachtes und Alt-Hergedachtes noch stimmen? Mit unseren vielfältigen Erfahrungen können wir die Konsequenzen abschätzen. Wir dürfen fragen. Denken. Und eigene, neue Entscheidungen treffen. Jederzeit.
Martina Flück übt sich schon länger in Fragen, Denken und Entscheiden. Seit März 2020 noch mehr.