«Wenn diese Abstimmung zur Ehe für alle nicht angenommen wird, dann gehe ich auf die Strasse!» Der O-Ton von vielen Seiten. Ich habe ja befürchtet, die Schweiz wird die Ehe für alle abschmettern mit dem Vorwand: «Ja, ich bin ja schon für die Ehe für alle. Aber das mit den Kindern, das geht ja gar nicht.» Und warum macht es zwei sich liebende Menschen gleichen Geschlechts per se schlechter, Kinder zu erziehen, als Herr und Frau Schweizer, die sich zu 70 Prozent scheiden lassen, wenn die erste Krise ansteht?
Trotz des nun glücklichen Ausgangs frage ich mich, warum haben Herr und Frau Schweizer immer das Gefühl, sie müssen etwas mehr recht haben als andere? Warum ist es für uns so schwierig, die Graustufe zwischen schwarz und weiss anzunehmen? Gibt es wirklich nur Lügner, Gegner und doofe Schafe? Warum höre ich meinem Gegenüber nicht wirklich zu, empathisch, mit Kopf, Hand und Hirn? Diese Fähigkeit haben wir scheinbar verloren. Wir tauschen uns viel weniger persönlich aus, Auge in Auge. Stattdessen lassen wir uns ersetzen, flach, platt, am Bildschirm, durch Geräte und glauben Algorithmen mehr als unserem realen Gegenüber.
Wenn ich mich nicht mit Menschen austausche, kann ich nicht sprechen. Wenn ich nicht mit einem Gegenüber sprechen kann, das Mimik und Gefühle zeigt, lerne ich nicht denken. Wenn wir nicht mehr in der Lage sind, mit Argumenten zu diskutieren und Konsens zu finden, ist das ja eigentlich der Tod der direkten Demokratie? Ich befürchte Schlimmes für unsere Gesellschaft.
Tanja Baumberger ist für die Ehe für alle – und mit allen Konsequenzen.