All seine Talente auflisten? Bei einem von der Neugier getriebenen Kreativen wie Werner Nydegger, der stets Neues entdecken will und erschaffen muss, wäre es einfacher zu erzählen, was er nicht ist, was er nicht beherrscht. «Ich habe es am liebsten, wenn ich sämtliche Arbeiten selbst erledigen kann», sagt der Oltner fernab aller Koketterie. Weil vor 50 Jahren seine ersten Cartoons erschienen sind, hat er ein neues Buch auf den Markt gebracht.
«Schlafen kann ich, wenn ich tot bin» und «Geht nicht, gibt es nicht» sind nicht nur Lieblingszitate von Werner Nydegger, sie beschreiben treffend seine Lebenshaltung und Arbeitsweise. Er brütet auch heute noch nächtelang über Problemstellungen, bis diese gelöst sind. Nydegger, das Arbeitstier, der gleichermassen begnadete Cartoonist, Karikaturist, Grafiker, Illustrator, Maler, Restaurator, Plastiker, Designer und Autor, ist schlicht getrieben von der Neugier. Über die Jahrzehnte seines Schaffens hat er ständig neue Arbeitsbereiche erforscht und bearbeitet. Als was er sich selber bezeichnen würde? Des Schnelldenkers Antwort ist logisch und typisch für ihn: «Werner Nydegger.»
Gleich drei Bücher hat der 76-jährige Oltner in diesen Tagen auf den Markt gebracht. Neben einem Kinderbuch und einem Comical der Weltgeschichte erscheint mit «Werner Nydegger – Cartoons und Karikaturen» ein Querschnitt seines 50-jährigen Schaffens in besagtem Genre. Was zur Folge hatte, dass er sich intensiv mit seinen eigenen Werken zu befassen hatte. «Das hat ganz schön Nerven gekostet», versichert er glaubhaft.
Nydegger ist ein Unikat. Einer, dem Menschenansammlungen und Smalltalk ein Graus sind. Der es gerne ehrlich mag. Und fadengerade. Was seiner Karriere nicht immer förderlich war. Dafür war er mit seinem Spiegelbild stets im Reinen.
Vielfältiger Schaffer
In seinem Atelier in Olten malt Nydegger grossflächig über das Papier. Was in den ersten Sekunden an ein unkontrolliertes Kindergekritzel erinnert, ändert sich bereits nach einer Minute, indem nur durch Schattierungen deutlich eine Person erkennbar wird. «Auf diese Weise zu malen ist entspannend», meint er lächelnd zum verblüfften Gegenüber. Verblüfft ist auch, wer in den Genuss kommt, vom Hausherrn auf eine Führung durch sein Atelier mitgenommen zu werden. Drei Etagen, prall gefüllt mit seinem Schaffen, seinem Lebenswerk. Irgendwo steht auch ein Bett, ist das, was als funktionaler Wohnbereich bezeichnet werden kann.
Er hat einst die Grafikfachklasse an der Kunstgewerbeschule Basel besucht und eröffnete mit 23 sein erstes Atelier. Der Durchbruch gelang dem Querdenker mit seinen satirischen Cartoons und Illustrationen, die in den namhaftesten Zeitungen und Zeitschriften in über 20 Ländern erschienen sind. Später widmete sich der begeisterte Antiquitätensammler dem Designen von Möbeln. «Aus meiner Arbeit an dreidimensionalen Cartoons entwickelte sich das Interesse am Möbeldesign », erklärt der Plastiker den meist fliessenden Übergang von der einen in die andere Tätigkeit. So war es auch natürlich, dass Nydegger nach dem jahrelangen Sammeln von Asiatika begonnen hatte, sich mit chinesischen und japanischen Schriftzeichen zu beschäftigen.
Daraus entstand eine weitere Bildserie, die «Tuschspuren». Bilder, mit Tusche auf Japanpapier gemalt, die an japanische und chinesische Bild- und Schriftrollen erinnern. Immer war es dem Designer wichtig zu begreifen, wie die jeweiligen Materialien bearbeitet werden können.
Sieben Bücher in zwei Jahren
Noch heute locken den Ruhelosen stets neue Arbeitsfelder, denen er sich bis zur Perfektion widmet. Zusammen mit der einstigen Oltner Werbefachfrau und Gastronomin Isabelle Bitterli hat Nydegger Anfang 2020 den eigenen Verlag «Kobold Books» gegründet, in welchem innerhalb von nicht einmal zwei Jahren sieben eigene Bücher erschienen sind – Ausdruck der schieren Kreativität der beiden. «Ich hab es am liebsten, wenn ich möglichst alle Arbeiten selbst erledigen kann», meint Nydegger. Dabei hat der Oltner mit dem Buch «Turmfrisuren im Affentheater» nicht nur begonnen, Kurzgeschichten rund um seine Cartoons zu verfassen, bald darauf hat er mit «Willi Barth» auch seinen ersten satirischen Roman, eine wie er selber sagt, «hanebüchene, himmeltraurige, herzergreifende Liebeshorror- Geschichte» geschrieben.
Und es ging Schlag auf Schlag weiter heuer. Nach dem Kinderbuch «König Corona » ist «Und immer wieder» erschienen. Im zweiten Buch für Kinder hat Isabelle Bitterli zu 15 Farbbildern von Nydegger Texte in Versform geschrieben. Darin wird die Geschichte eines SchweinchenÄrztepaares erzählt, das immer wieder Ferien plant, die es wegen der vielen Unfälle schliesslich aber nie antreten kann.
Die Comics erstmals in Französisch
Mit dem Buch «Das Neuste von gestern – ein Comical der Weltgeschichte», hat Nydegger ausserdem Comicstrips, die 1979/80 in Zusammenarbeit mit dem Journalisten und Verleger Peter Baumann entstanden sind, wieder aufleben lassen. Er hat alle Comicszeichnungen neu eingelesen, überarbeitet und die Sprechblasen und Texte neu eingefügt. In den 56 Comics werden historische Figuren und Ereignisse endlich so gezeigt, wie sie «wirklich waren»: ganz anders. Mit «Das Neuste von gestern» ist Nydegger am kommenden Wochenende ausserdem an das internationale Comic Festival «BDmania» in Fribourg eingeladen, wo ausgewählte Comics von ihm erstmals in französischer Sprache gezeigt werden.
50 Jahre den Spiegel vorgehalten
Zwar blickt er nicht allzu gerne auf die Vergangenheit zurück. «Dinge, die ich gemacht habe, interessieren mich nicht mehr. Ich habe sie gemacht und weiss nun, wie sie funktionieren», meint er trocken. Trotzdem liess er sich anlässlich seines Jubiläums zu einem Rückblick hinreissen. Exakt 50 Jahre nach der Veröffentlichung seines ersten Cartoons im Jahr 1971 erscheint dieser Tage mit dem Band «Werner Nydegger – Cartoons und Karikaturen» ein Querschnitt durch sein vielseitiges Schaffen. «Es wird immer mal wieder nach alten Cartoon- und Karikaturenbüchern gefragt, die allesamt vergriffen sind», erklärt Nydegger. «Zudem haben viele Bilder über die Zeit nichts an ihrer Aktualität eingebüsst», so der Publizist schmunzelnd und auf die Skihalle verweisend, die er einst zeichnete, lange bevor es die erste überhaupt gab.
Im 296 Seiten umfassenden Band vereint er ausgewählte Arbeiten aus 50 Jahren, die vom ersten veröffentlichten Cartoon über die zweidimensionalen Karikaturen, Comics, Wimmelbilder und Poster bis hin zu seinen dreidimensionalen Skulpturen reichen. «Ein riesiger Aufwand», betont er. Manchmal seien die alten Originale nicht mehr brauchbar oder vorhanden gewesen, weshalb er teilweise Vorlagen aus seinen Büchern, Zeitschriften und schlechten Dias habe einlesen und in Detailarbeit neu aufbereiten müssen.
Und das, wo er doch nur widerwillig in der eigenen Historie wühlt.
Mehr Infos: www.werner-nydegger.ch sowie auf www.kobold-books.ch