Hof Weihermatt Balsthal / Anzeiger Thal Gäu Olten
Rita und Adrian Kohler haben Anfang Jahr den Hof von Adrians Eltern übernommen.

Ein Abschied in gewohnter Umgebung

Keine Reise zum Schlachthof: Rita und Adrian Kohler vom Hof Weihermatt in Balsthal setzen auf Hoftötungen

Adrian und Rita Kohler wollen ihren Tieren den stressvollen Lebendtransport zum Schlachthof ersparen. Seit letztem Jahr werden vermehrt die zur Schlachtung bestimmten Kälber und Rinder direkt auf dem Hof getötet. Für das junge Ehepaar ist dies ein Weg zu seinem übergeordneten Ziel: Die Kreisläufe auf dem Landwirtschaftsbetrieb so gut es geht zu schliessen.

Rehli streckt an diesem Vormittag seinen Kopf zwischen den Gitterstäben hindurch und zeigt seine lange Zunge. Nachdem es sich eine kurze Streicheleinheit abgeholt hat, wird seine Konzentration aber auf etwas anderes gelenkt. Vorne am Gitter füllt Adrian Kohler gerade den Futternapf auf. Sofort macht sich das Tier auf den Weg und stürzt sich über das Fressen. Dass sein Kopf dabei ab und zu durch eine Halterung fixiert wird, scheint es nicht zu stören – und so soll es auch sein. In wenigen Stunden wird das Tier hier auf dem Hof, auf dem es sein ganzes bisheriges Leben verbracht hat, nämlich seine letzte Ladung Getreide geniessen und dabei, ohne etwas zu ahnen, von einem Metzger per Bolzenschuss betäubt.

Stressvoller Transport
Adrian und Rita Kohler vom Hof Weihermatt in Balsthal möchten, dass ihre Tiere die letzte Reise so arglos wie möglich antreten können. Deshalb werden seit März 2021 vermehrt die zur Schlachtung bestimmten Kälber und Weiderinder auf dem Hof getötet. Die übliche Methode, nach der die Tiere verladen, zum Schlachthof transportiert und dort betäubt und geschlachtet werden, löst bei ihnen Stress aus. Für ein Rind ist beispielsweise das Separieren von ihm bekannten Artgenossen und die neue unbekannte Umgebung belastend. Vor allem aber das Verladen auf den Transporter ist gemäss Untersuchungen am stressvollsten. Die Herzfrequenz der Tiere kann dabei bis zu 80 Prozent steigen. Erschwerend kommt dazu, dass man davon ausgeht, dass wartende Rinder am Schlachthof spüren, dass Gefahr droht. Sie scheiden körpereigene Botenstoffe aus, die von den auf sie folgenden Tieren wahrgenommen und als Warnung verstanden werden, heisst es in einem Merkblatt des Forschungsinstituts für biologischen Landbau FiBL.

Grosser Organisationsaufwand
Seit 2020 sind sogenannte «Hoftötungen» grundsätzlich zugelassen, allerdings nur mit hohen Anforderungen an Hygiene und Kontrolle. Wenn Adrian und Rita Kohler wie an diesem Tag zwei Hoftötungen durchführen, dann zieht das einen langen organisatorischen Rattenschwanz mit sich. Einige Tage zuvor holen sie ein Fressfangmodul bei einem Bauern ab, der zuvor eine Hoftötung auf seinem Betrieb hatte. Ebendieses, in welchem das Rind «Rehli» seit einigen Tagen seine Mahlzeiten zu sich nimmt. Das Konstrukt kommt von Mischa Hofer, einem der führenden Anbieter von kommerziellen Hoftötungen in der Schweiz. In den Tagen, in denen es auf dem Hof Weihermatt ist, können die Schlachttiere sich daran gewöhnen, so dass am Tag X alles reibungslos funktioniert. Vor der effektiven Hoftötung werden die Tiere durch eine Vertretung des Veterinäramtes begutachtet, bevor sie beim Fressen mit einem Bolzenschuss betäubt werden. Von diesem Moment an muss es schnell gehen. 60 Sekunden bleiben, bis dem Tier der Entblutungsschnitt gesetzt wird, innert 45 Minuten muss es dann in einem Schlachthof ausgeweidet werden. Die Tiere vom Hof Weihermatt werden im Kleinschlachtbetrieb in Oensingen weiterverarbeitet.

Hof Weihermatt Balsthal / Anzeiger Thal Gäu Olten
Adrian Kohler füttert Rind «Rehli» im Fressfangmodul. Hier wird es wenige Stunden später mit dem Bolzenschuss betäubt.


Geschlossene Kreisläufe
Adrian Kohler ist Landwirt und Agronom Ingenieur. Der 27-Jährige hat in diesem Jahr den Hof seiner Eltern übernommen. Zusammen mit Ehefrau Rita, selbst angehende Bäuerin, möchte er den Direktverkauf von Fleisch, den bereits seine Eltern praktizierten, weiter ausbauen. In diesem Zusammenhang kam Rita Kohler vor einem Jahr auch die Idee, auf die Hoftötung umzusteigen. Das Fleisch der Kälber, Rinder und Milchkühe verkaufen die beiden in Form von Mischpaketen ab fünf Kilogramm. Ausserdem bieten sie einzelne Stücke wie Hamburger, Bratwürste Leber, Knochen oder Trockenfleisch an. «Uns ist wichtig, dass alles verwertet wird», sagt Rita Kohler.

Bei den Hoftötungen gehe es ihnen vor allem um die Würde der Tiere. «Sie werden bei uns geboren und sollen auch hier sterben können», sagt die 29-Jährige. Diesen Lebenskreis, der sich auf dem Hof schliesst, wollen Kohlers auch in anderen Bereichen erzielen. Das Futter für die Tiere wird auf den eigenen Agrarflächen produziert, der Dünger für ebendiese kommt von den Hoftieren. Auch dass mit dem nahen Kleinschlachtbetrieb zusammengearbeitet und das eigene Fleisch vor allem in der Region vermarktet wird, gehöre für ihn zu diesem geschlossenen Kreislauf dazu, sagt Adrian Kohler. All diese Punkte prüft er aber auch auf ihre Wirtschaftlichkeit: «Nachhaltigkeit hat für mich auch viel mit Effizienz zu tun.» Dennoch investieren die Kohlers einiges in ihre unkonventionelle Schlachtmethode. Rund 400 Franken zahlen sie pro Hoftötung, von welchen es im letzten Jahr fünf gab. Diese Kosten werden auf die Preise der Mischpakete abgewälzt, die zwischen 34 und 39 Franken pro Kilogramm kosten.

Ehemalige Vegetarier
Der Verkauf sei im letzten Jahr gut angelaufen, sagt Adrian Kohler. Schwieriger werde es wohl, wenn, wie an diesem Tag, zwei Tiere geschlachtet und damit mehr Fleisch auf einmal vorhanden ist. Ausserdem spürten sie, dass die Nachfrage zur Grillsaison im Sommer höher ist als im Winter.

Dass es sich um Produkte ab Hof und aus der Region handelt, überzeuge viele Kundinnen und Kunden. Bei anderen ist es explizit der ethische Aspekt der Hoftötung, der sie zum Kauf verleitet: «Es gibt Kunden, die ehemalige Vegetarier sind», erzählt Rita Kohler. Für sie sei vor dem Hintergrund der stressfreien Schlachtung der Fleischkonsum in Ordnung. Und es gibt noch einen weiteren Punkt, der objektiv betrachtet dem Verkauf von Fleisch aus Hoftötungen in die Hände spielt: Die Qualität. Ist das Tier vor seinem Tod gestresst, steigt der pHWert in dessen Muskeln. Ergebnis: Das Fleisch ist nachweislich zäher. Dass jenes aus Hoftötungen im Umkehrschluss sehr zart ist, das nehme auch sie selbst so war, sagt Rita Kohler: «Man kann es fast nicht verkochen.»

Dennoch: Dass die Hoftötungen die konventionellen Schlachtmethoden einst ablösen werden, das glaubt Adrian Kohler nicht. «Es ist nach wie vor eine Nische», sagt er. Auch wenn Nachhaltigkeit, Regionalität und das Tierwohl scheinbar immer wichtiger für die Konsumentinnen und Konsumenten werden, am Schluss entscheide dennoch der Preis und da kauften viele dann doch das Fleisch aus dem Supermarkt. Für die Kohlers fühlt sich ihre Entscheidung trotzdem mehr als richtig an. Sie wollen an den Hoftötungen festhalten und weiterhin daran arbeiten, möglichst viele Kreisläufe auf dem Hof zu schliessen, sagt Adrian Kohler: «Dafür sind wir auf genügend Kundschaft angewiesen, die bewusst Fleisch konsumiert.»

Informationen zum Hof und dem Fleisch aus der aktuellen Hoftötung unter: www. hofweihermatt.ch. Dort kann über ein Bestellformular auch das Fleisch aus der aktuellen Hoftötung bestellt werden.

Text & Bild: MB