Einst eine kleine Reparaturwerkstatt, gehört die Jäggi AG in Fulenbach heute zu den wichtigsten Playern in der Verarbeitung komplexer Maschinenteile. Das Unternehmen ist auch 115 Jahre nach seiner Gründung durch Alfred Jäggi in vollem Besitz der Familie. Die mittlerweile vierte Generation will die Firma sicher durch unsichere Zeiten führen.
Es ist laut in den grossen Fabrikhallen der Jäggi AG in Fulenbach. Geschäftsführer Patrik Fürst redet gegen den Lärm der fräsenden und bohrenden Maschinen an, während er immer wieder Halt macht und etwas über die zahlreichen Metallteile erzählt, die hier auf Stapeln zur Bearbeitung liegen. Gemeinsam mit dem Präsidenten des Verwaltungsrates, Rinaldo Somaini, führt Fürst durchs Unternehmen. Hier werden ganz unterschiedliche Metallteile für ganz unterschiedliche Kunden verarbeitet. Von Maschinenteilen für die Lebensmittelindustrie, die zum Verschliessen von Dosen oder für chemische Anlagen verwendet werden, über Elemente für Schiffsschrauben bis zu Halterungen für Satelliten. «Es gibt da keine Grenzen», sagt Patrik Fürst. Einige Teile werden angeliefert, kurz bearbeitet und verlassen die Jäggi AG schnell wieder, andere bleiben über mehrere Wochen hier an der Härkingerstrasse, bevor sie zurück zum Kunden gehen und von dort aus in alle Welt exportiert werden.
Eine grosse Familie
Die Jäggi AG gehört zu den ältesten Firmen in der Region. 115 Betriebsjahre kann sie in diesem Jahr zählen und: Sie ist bis heute ein wahres Familienunternehmen. Patrik Fürst und Rinaldo Somaini heissen zwar unterschiedlich und haben auch äusserlich nicht viel gemeinsam – verwandt sind sie trotzdem: Ihr gemeinsamer Urgrossvater Alfred Jäggi gründete das Unternehmen 1907, als die Welt gerade in einer Wirtschaftskrise steckte. Doch der damals 30-Jährige, der eigentlich einen guten Job als Mechaniker bei der SBB in der Werkstätte Olten hatte, liess sich davon nicht beirren: An der Härkingerstrasse baute er seine Firma «Alfred Jäggi». Es war eine kleine Reparaturwerkstatt, in der er alles, was mit Eisen und Mechanik zu tun hatte, flickte. Kurze Zeit nach der Gründung kam noch eine Velohandlung dazu. Unterstützt wurde Jäggi durch seine grosse Familie. 12 Kinder hatten er und seine Frau Constantine, welche aus Neapel stammte. Und da alle mit anpackten, entwickelte sich die kleine Werkstatt zu einem mittelgrossen Industriebetrieb.
Fürst und Somaini gehören damit der mittlerweile vierten Generation an. Sie haben ihren Urgrossvater, der 1962 verstorben ist, nie persönlich kennengelernt, aber viel über ihn gehört: «Er war vom Hörensagen her ein strenger Patron, der aber durchaus auch als gutmütig und grosszügig bekannt war und zu seinen Angestellten schaute», sagt Rinaldo Somaini, der als Andenken an den Urgrossvater den zweiten Namen «Alfredo» trägt. Er ist sich sicher: dass das Unternehmen heute noch Bestand hat, das hat viel mit dem Gründer zu tun. Alfred Jäggi fungierte Zeit seines Lebens für viele Unternehmen in der Region als Geldgeber. Seine Grabrede wurde von Jura-Gründer Leo Henzirohs gehalten, der sich an seine erste Begegnung mit Alfred Jäggi wie folgt erinnerte: «Von seinem eigenen schweren Anfang hat er mir erzählt, und voller Mut und Tatendrang ging ich heim mit dem festen Entschluss, ihm nachzueifern.»
Eine Nische als Kerngeschäft
Statt dem Verkauf von Velos und dem Reparieren einzelner Eisenteile gehören heute das Fräsen, Bohren und Drehen grosser komplexer Maschinenteile zum Hauptgeschäft der Jäggi AG. Dieser Wandel habe sich noch unter Alfred Jäggi entwickelt und sei bis heute ein Grund für den Erfolg der Firma, sagt Somaini. «Wir sind in einer Nische tätig und haben dadurch wenig Konkurrenz im näheren Umfeld.» Statt auf Expansion oder weitere Betriebszweige hat man sich stets auf diese Kernkompetenz konzentriert. «Hier sind wir stark», sagt Somaini. Damit das auch so bleibt, investiert das KMU regelmässig in moderne Infrastruktur in Form von grossen Industriemaschinen. Sieben Stück stehen derzeit in den Hallen der Jäggi AG. Jede Einzelne von ihnen ist im Schnitt eine Million wert. Diese Investitionen seien nicht immer einfach gewesen, sagt Patrik Fürst. So etwa 1991, als in einer wirtschaftlich schwierigen Zeit eine neue Fabrikhalle gebaut und drei Grossmaschinen gekauft wurden. Diese Investition von mehreren Millionen Franken waren für die Firma sicher ein grosser Brocken. Und doch: Ausgaben wie diese seien unabdingbar gewesen, um im Marktsegment zu bestehen.
Es war nicht die einzige schwere Zeit in den letzten 115 Jahren. Weltkriege, Wirtschaftskrisen und nicht zuletzt die Coronapandemie rangen der Jäggi AG und ihren Verantwortlichen immer wieder Flexibilität und Durchhaltevermögen ab. Im bekannten aktuellen Umfeld sorgen Lieferengpässe, steigende Materialpreise und der Krieg in der Ukraine für so manche Schwierigkeit im Arbeitsalltag.
Das Härdöpfugeld
Für Beständigkeit sorgen dafür die Mitarbeitenden. «Wir haben viele, die seit Jahren bei uns beschäftigt sind», sagt Patrik Fürst. Seit den 30er-Jahren wurden immer rund 30 Angestellte beschäftigt – so auch heute. Diesen will man ein gutes Arbeitsklima bieten. Auch hier steht man nahe beim Gründer: «Alfred Jäggi war der soziale Aspekt in der Firma wichtig.» So habe Jäggi den Angestellten eine berufliche Vorsorge gezahlt, lange, bevor von einer solchen überhaupt die Rede war. Er habe Fonds eingerichtet, um die Leute zu unterstützen. Und: Ihnen ein Härdöpfugeld ausgezahlt. «Das Härdöpfugeld war ein Zustupf im Oktober, damit sich die Leute mit Kartoffeln für den Winter eindecken konnten. Die Schweiz war damals ein armes Land und Hunger war auch hier weit verbreitet.»
Heute haben Versicherungen, Pensionskassen und der wirtschaftliche Aufschwung solche Aktionen hinfällig gemacht. Dennoch: Ein guter Arbeitgeber für die Angestellten zu sein, das ist auch Patrik Fürst ein wichtiges Anliegen. Damit die Leute bleiben, müsse man ihnen aber auch etwas bieten. Das versuche man etwa mit Weiterbildungen und einer besseren Vereinbarkeit mit der Familie. Die Jäggi AG tut das nicht uneigennützig: «Es ist ein Geben und Nehmen.» Im Umkehrschluss müsse er seinen Mitarbeitenden vertrauen können. Sie haben an den teuren Maschinen eine grosse Verantwortung. Und: Wie vielen anderen Firmen fällt es auch der Jäggi AG schwer, neue Fachkräfte zu finden. «Wir sind immer auf der Suche nach guten Mitarbeitenden», sagt Rinaldo Somaini.
Nächste Generation steht in den Startlöchern
Auch in der vierten Generation sei noch eine grosse Verantwortung für das Unternehmen zu spüren, da sind sich Rinaldo Somaini und Patrik Fürst einig. Für sie beide ist nie in Frage gestanden, dass sie sich in der Firma engagieren. Bis heute sind nicht nur im operativen Bereich Familienmitglieder vertreten, auch die 50 Aktionäre stammen allesamt von Alfred Jäggi ab. Erneutes Lob für den Gründer: «Alfred Jäggi hat nicht einzelnen Kindern die Firma übergeben, sondern allen die gleichen Anteile», sagt Somaini. Bis heute sind die Aktien Familienmitgliedern vorbehalten und die nächste Generation steht schon in den Startlöchern. Konkret sei zwar nichts, aber es gebe Mitglieder in der Familie, die sich für den Betrieb und seine Arbeit durchaus interessieren, sagt Fürst. Drängen würden sie niemanden wollen. Das war auch in der Vergangenheit nie nötig. Alfred Jäggi hat seinen Nachkommen eine Firma hinterlassen, um die diese sich gerne kümmern – auch in Zukunft.