Viel mehr ABBA geht kaum: Seit 48 Jahren sind die vier Schweden fester Bestandteil im Leben des Charly Bärlocher. Nun erfüllt der Gäuer sich einen Traum: Er wird morgen Abend der Premiere der neuen Avatarshow «ABBA Voyage» in London beiwohnen können. Und ist schon heute, im Beisein der Weltstars, an der exklusiven VIP-Party mit dabei.
Es kann kein Zufall sein: Just am Geburtstag von Charly Bärlocher vor vier Jahren gaben ABBA ihr weltweit als Sensation gefeiertes Comeback bekannt und liessen verlauten, man sei gemeinsam im Studio gewesen und sie hätten zwei neue Songs – «I still have faith in you» und «Don’t shut me down» – aufgenommen. Es ist einer dieser vielen Daten, die er im Kontext mit ABBA auswendig kennt, fest abgespeichert hat. Irgendwann dann machten erste Gerüchte die Runde von einer geplanten Show mit Avataren. Dann kam Corona, es war die Rede von technischen Schwierigkeiten – bis die erfolgreichste Popband aller Zeiten letztes Jahr die Bombe platzen liess: Sie kündigten «Voyage» an, ein neues Werk.
«Schon bei der ersten Meldung, dass da was im Busch ist, war für mich klar: Ich will an der Premiere der Avatarshow dabei sein», erzählt Charly Bärlocher mit ansteckender Begeisterung. Am 2. September 2021 dann die Präsentation in London: Die Enthüllung der beiden brandneuen Songs – und die für hunderte Millionen Fans entzückende Nachricht, dass eine ganze LP entstanden und eine grosse Show in London geplant sei, mit Premiere im Mai 2022. Diesen Freitag geht der Event nun über die Bühne. Mittendrin: Charly Bärlocher.
Als Elfjähriger wurde er «geflasht»
Weshalb die ewige Faszination ABBA beim 59-jährigen Informatiker aus dem Gäu? Am 6. April 1974 hats bei ihm «Flash» gemacht. An jenem denkwürdigen Tag, als der knapp elfjährige Junge die Band erstmals am Fernseher sah und sie mit ihrem «Waterloo» und dem Triumph am Eurovision Song Contest die Musikwelt eroberten. «Gerade eben», erzählt er, «ist eine Rarität aufgetaucht: Ein Video der gesamten Übertragung von damals von ORF.» Sowas existiere leider praktisch kaum mehr.
Drei Wochen später brachte ein Kollege die Single an seine Geburtstagsparty mit. Unfassbar: Eine Single mit diesem Song drauf! Und so gings weiter. Miterspartem Sackgeld kaufte der junge Fan im nächsten Jahr seine zweite Single: «S.O.S». «Ich habe ABBA gehört und ihre Songs aufgenommen, wann immer ich nur konnte», sagt er. Was zu jener Zeit, ältere Leserinnen und Leser wissen dies, bedeutete, viel Zeit und Geduld aufbringen zu müssen. 1976 kaufte Charly sein erstes Studioalbum, «Arrival». Er lacht wieder: «Ich habe sie endlos rauf- und runterlaufen lassen.» Klar, dass sein Zimmer in diesen Jahren vollgepflastert war mit Postern der Band, speziell von seiner Traumfrau in jungen Jahren, der blonden Agnetha, und mit Starschnitts der «Bravo» – und das ist wörtlich zu nehmen. Er grinst wieder: «Ich hatte auch an der Decke keinen freien Quadratzentimeter mehr…» Für eine Aktion aber könnte er sich noch heute ohrfeigen: Als er Anfang der 80er-Jahre zügelte, nahm er sämtliches Material in die neue Wohnung mit, schmiss aber später, bis auf Platten und Bücher natürlich, alles andere weg. Er wisse noch heute nicht, was damals in ihn gefahren sei, sagt er. Mal abgesehen vom persönlichen Wert für ihn selber haben solche «Schätze» heute mitunter einen nicht geringen Sammlerwert.
Die Neverendingstory des Sammlers
Mit der Trennung der Band 1982, die offiziell immer nur von «Pause» redete, brach für ihn eine Welt zusammen. Der Split sorgte auch bei einem Superfan wie Charly für eine gewisse Abkühlung. Er habe die ABBA-Songs in den 80er-Jahren in Vinyl noch immer exzessiv gespielt, erzählt er. «Aber ich war damals sicher nicht der sammelwütige Fan, der ich heute bin.» In der Tat: Die Kollektion an Tonträgern und Fanartikeln im Kellergeschoss, die in den letzten drei Jahrzehnten zusammengekommen ist, ist eindrücklich. Dabei weiss er haargenau: Es wird nie möglich sein, dass er im Besitze sämtlicher möglicher Artikel ist. «Eine Neverendingstory…», sagt er lakonisch. Schliesslich ist da nicht einfach nur die komplette Sammlung von Polydor, mit allen Ausgaben der Singles und LPs. Allein schon die Cover der Platten sind in vielen Ländern unterschiedlich. Aus Japan beispielsweise besitzt er vier LPs in vier verschiedenen Farben.
Längst ist das Sammeln solcher Raritäten auf der ganzen Welt zu einer echten und mitunter kostspieligen Leidenschaft geworden. Charly besitzt von ABBA um die 600 Medien, also Singles, LPs, CDs und DVDs. Logisch, tummeln sich im Internet reichlich Betrüger, die von der Sammelwut der ABBA-Fans profitieren wollen. Da müsse man eben auf der Hut sein, sagt er. Fake-Unterschriften seien für ein paar hundert Dollar zu haben. «Solche Fälschungen machen das Sammeln erst recht zur Challenge!»
Die Sache mit dem Livekonzert
Charly Bärlocher war schon ein halbes Dutzend Mal in Stockholm. Früher auch mit dem Camper, zu seinem Fünfzigsten spendierten ihm gute Freunde ein paar Tage in der Stadt, Eintritt im ABBA-Museum inklusive. Und noch so ein Datum, das wie aus der Pistole geschossen kommt: Der 12. September 2015. Anlässlich der Re-Premiere des Musicals «Kristina» aus der Feder von Björn und Benny traf er seine Helden vor dem Cirkus Theater in Stockholm persönlich. Er strahlt übers ganze Gesicht: «Sie unterschrieben mir das Songbook des Musicals!» Später gelang es ihm sogar, eine Platte mit deren Widmung zu erhalten: «To Charles!».
Ist einer mit Jahrgang 1963 ABBA-Fan, riskiert er durchaus, die Band kein einziges Mal live gesehen zu haben. So erging es auch Charly. Für ihr einziges Schweizer Konzert anno 1979 im Zürcher Hallenstadion konnte man damals nur via «Good News» Tickets bestellen. «Für diesen 28. Oktober kamen 30000 Anfragen rein – an einem einzigen Tag!» Der Teenager ging, wie die meisten Fans, leer aus. Dass er sie noch nie live spielen gesehen hat und das wohl auch nie der Fall sein wird, nagt an ihm, denn er weiss: «Die Sache in London wird in jeder Beziehung gigantisch werden – aber auch sie kann ein wirkliches Livekonzert des Quartetts nicht ersetzen.»
Ist einer mit Jahrgang 1963 ABBA-Fan, riskiert er durchaus, die Band kein einziges Mal live gesehen zu haben. So erging es auch Charly. Für ihr einziges Schweizer Konzert anno 1979 im Zürcher Hallenstadion konnte man damals nur via «Good News» Tickets bestellen. «Für diesen 28. Oktober kamen 30000 Anfragen rein – an einem einzigen Tag!» Der Teenager ging, wie die meisten Fans, leer aus. Dass er sie noch nie live spielen gesehen hat und das wohl auch nie der Fall sein wird, nagt an ihm, denn er weiss: «Die Sache in London wird in jeder Beziehung gigantisch werden – aber auch sie kann ein wirkliches Livekonzert des Quartetts nicht ersetzen.»
Ein wilder Ritt auf dem Bike
Doch zurück zum 2. September letzten Jahres. Im Rahmen der Verkündigung konnte man alles bestellen: Die neue LP mitsamt entsprechenden Merchandisingartikeln. Wer dies tat, ergatterte so automatisch ein Vorkaufsrecht für Tickets der Show in London. Ein paar Tage später ging das Fenster für die Ticketbestellung auf. Charly Bärlocher erinnert sich nur zu gut. «Ich war mit meiner Frau im Appenzellischen am Biken und machte natürlich einen Halt, damit ich um Punkt 11 Uhr parat war, um mich in die Ticketschlaufe einzuwählen.» Was dann folgte, dreht ihm noch heute fast den Magen um. Schon fast drin sei er gewesen, kurz vor der finalen Bestätigung – als das System ihn wieder rauskippte. Und er erst gar nicht mehr über die Warteschlaufe hinaus kam…
«In einer einzigen riesigen Wut fuhr ich weiter und habe wohl noch nie so viele andere Biker überholt wie damals», erinnert er sich. Heute kann er darüber lachen. Denn als er eine halbe Stunde später anderen Leuten vom ABBA-Fanclub schrieb und diese ihm beschieden, sie hätten auch keine Tickets erhalten und es habe geheissen, man solle es unverzagt weiter probieren, keimte wieder Hoffnung in ihm auf. In der Tat: «90 Minuten später konnte ich mir dann tatsächlich zwei Tickets sichern!»
Seine Gattin Ursi indes wird ihn nicht nach London begleiten. «Ich mag die Lieder, aber er hätte eh keine Augen für mich – da würde ich nur stören», schätzt sie die Ausgangslage realistisch ein. Er wiederum weiss zu schätzen, wie sehr sie ihn seine Passion in all den Jahrzehnten hat ausleben lassen und ausleben lässt.
Heute VIP-Show, morgen Premiere
Und jetzt also diese magischen Tage von London. Seit Tagen schon denkt Charly Bärlocher an nichts anderes mehr. Gestern ist er abgereist, morgen findet die Premiere statt. Und heute, ja heute Abend, wird er bereits exklusiv der gesamten VIP-Show beiwohnen können. Wie er das wieder geschafft hat? «Dank der Mitgliedschaft in zwei Fanclubs und entsprechend guten Beziehungen – und vor allem auch mit viel Glück!» Denn Fakt ist: Heute Abend, so das Gerücht, sollen alle vier von ABBA der Show beiwohnen. Auch für Anni-Frid und Agnetha wird es eine Premiere sein, sie haben das Werk der beiden «B», ihrer Ex-Männer, noch nie als Ganzes gesehen. Was bekannt ist? «Es werden 22 Songs gespielt, darunter zwei neue», sagt Charly. Die Setlist als solche aber ist ein gut gehütetes Geheimnis. Vielleicht hat er Glück und sein Lieblingssong steht drauf: «The day before you came.»
Er weiss: Geniessen können wird er die Show erst am Freitag. «Heute werde ich einfach unglaublich nervös sein, Fotos schiessen und staunen, staunen, staunen.» Morgen dann will der Enthusiast sich die Sache «in Ruhe» anschauen und geniessen. In Ruhe? Ob dieser masslosen Untertreibung muss Charly Bärlocher gleich selber lachen.