Wenn die Christkatholische Kirchgemeinde Region Olten Gastgeberin ist für die Nationalsynode, so ist dies für die Kirche eine wunderbare Gelegenheit, zurück und nach vorn zu blicken. Zurück auf deren Entstehung mit dem legendären Oltner Tag vor just 150 Jahren. Nach vorn, in dem man sich als offene und liberale Gemeinschaft präsentiert und dies vermehrt öffentlich zelebriert. Da passt es vortrefflich, dass am Samstag über die Einführung der Ehe für alle befunden wird.
Es ist mitnichten Zufall, dass die Christkatholiken im Lande sich morgen und am Samstag in Olten treffen. In den Jahren 1871 bis 1876 hat sich diese Kirche in einem mehrjährigen Prozess gebildet, an ihrem Ursprung stand die Besinnung auf kirchliche Fragen am sogenannten «Oltner Tag» anno 1872 (siehe Zweitartikel). Am 1. Dezember 1872, vor fast exakt 150 Jahren also, haben rund zweitausend an das Treffen in Olten gereiste freisinnige Katholiken beschlossen, christkatholische Gemeinden zu gründen und eine eigene kirchliche Organisation aufzubauen. «Man muss sich diesen für damalige Zeiten gewaltigen Menschenauflauf mal vorstellen», sagt Monique Rudolf von Rohr, Präsidentin der Christkatholischen Kirchgemeinde Region Olten. Im Fünferkomitee, welches dieses Treffen organisierte, wirkte auch der Oltner Rechtsgelehrte Walther Munzinger mit. Der Sohn des ehemaligen Bundesrates verfasste die Statuten des Vereins freisinniger Katholiken und gilt heute als Hauptpromotor einer christkatholischen Gemeinde in Olten.
«Für viele Geistliche war die unfehlbare Gewalt des Papstes schlicht nicht mehr tragbar», erklärt Robin Kiefer den Beginn der damaligen Bewegung. Der studierte Historiker ist Mitglied des Kirchgemeinderates in Olten und mit seinen erst 23 Jahren Beleg dafür, dass auch junge Menschen aktiv und an vorderster Front das Leben der Gemeinde gestalten können – so sie nur wollen. Vater Josef Munzinger sei prägend gewesen für den Bundesstaat, sein Sohn für die christkatholische Bewegung. Rasch führten die Christkatholiken anstelle von Latein in der Messe die Landessprache ein, bereits 1878 durften Priester heiraten. «Noch heute steht der Oltner Tag exemplarisch für die Auflehnung gegenüber Rom», sagt Kiefer.
Einführung der Ehe für alle
Es steckt also sehr viel Symbolkraft hinter dem Austragungsort Olten für die diesjährige Synode der Schweizer Christkatholiken, die ab Freitag in Olten stattfindet. Der morgige Festgottesdienst ab 10 Uhr in der Stadtkirche ist öffentlich, alle Interessierten sind herzlich willkommen. Die Bedeutung des Tages wird schon mit dem Festprediger unterstrichen: Die Predigt halten wird der Erzbischof von Utrecht, das weltweite Kirchenoberhaupt. Untermalt wird der feierliche Anlass unter anderem von einem musikalischen Duo, welches Barockmusik zelebrieren wird.
So bedeutsam dieser Anlass von morgen, so sehr sticht auf der kirchenpolitischen Agenda der Synode ein Traktandum heraus, über welches am Samstag befunden wird: Dann nämlich fällt der Entscheid, ob die Ehe für alle bezüglich Sakramenten gleichgestellt wird. Wörtlich lautet der Passus: «Jede Segnung, die die Kirche einer zivilrechtlich geschlossenen Ehe zwischen zwei Erwachsenen gleich welchen Geschlechts spendet, ist in gleicher Weise sakramental.» Diese Aussage hat die ganz grosse Mehrheit der Stimmberechtigten vor Jahresfrist in Thun bei gerade mal zwei Gegenstimmen gutgeheissen. Verlangt wird übermorgen, in zweiter Lesung, die nochmalige Zustimmung der Synode. Ab 1. Juli würde in der Christkatholischen Kirche der Schweiz die Ehe zivilrechtlich verheirateter Paare unabhängig vom Geschlecht nach gleichem Ritus eingesegnet.
Ein Entscheid, der laut Ursula Ulrich «reine Formsache» sein sollte. Die ehemalige Nationalrätin Ulrich, ebenfalls Mitglied des Oltner Kirchgemeinderates, betont, wie rasch der Prozess über die Bühne gegangen sei: Vor vier Jahren sei aus jungen Kreisen der Antrag für eine «Ehe für alle» gestellt worden, am Samstag bereits könne nun der definitive Entscheid fallen. «Wir Christkatholiken haben junge Köpfe, die nicht einfach nur lavieren, sondern sich auch engagieren», sagt Ulrich. Und blickt schelmisch zu Robin Kiefer. Dieser nickt. Die christkatholische Kirche sei basisdemokratisch organisiert, da könne jede und jeder sich einbringen. «Eine sehr schweizerische Tugend.»
Die Kirche als spirituelle Heimat
Den Schwung und die mediale Präsenz der synodalen Tage in Olten möchten Monique Rudolf von Rohr und ihr Team vom Kirchgemeinderat auch gleich mitnehmen, sich vermehrt in der Öffentlichkeit präsentieren – und so auch neue Mitglieder für ihre Kirche gewinnen. Der Christkatholischen Kirchgemeinde Region Olten sind 39 Gemeinden von Winznau bis nach Gänsbrunnen angeschlossen, sie zählt rund 400 Mitglieder – Luft nach oben ist also vorhanden. Die Präsidentin der Kirchgemeinde relativiert: «Wir sind uns bewusst, dass das kein Kinderspiel wird, nehmen uns aber auch die notwendige Zeit und wollen Schritt für Schritt gehen.» Der Argumente, um sich näher auf ihre Kirche einzulassen, hat sie einige einzubringen: Die Oltner Christkatholiken nehmen für sich in Anspruch, eine «gelebte Gemeinschaft» zu sein, mit einer Kirche mitten in der Stadt, mit Ausstellungen, Gottesdiensten und Musik, welche für die Menschen offen steht. Sie bieten laut Rudolf von Rohr ein «intaktes Wertesystem» an. «Zudem können Interessierte sich der spirituellen Inhalte unserer Kirche bedienen, ohne sich verbiegen zu müssen», betont sie.
Kein Zölibat und die Frauenordination
Die Christkatholiken legen zudem Wert darauf, sich in wesentlichen Punkten von den Römisch-Katholiken zu unterscheiden: Kein Zölibat, Frauenordination, sprich die Zulassung von Frauen zu geistlichen Ämtern in der Kirche sowie nun eben ab übermorgen die Anerkennung gleichgeschlechtlicher Liebe durch die Synode. Ganz generell bezeichnen sich die Christkatholiken als «liberal und offen». Monique Rudolf von Rohr stellt fest: «Was viele Römisch-Katholische Kirchenmitglieder gerne möchten, ist bei den Christkatholiken schon sehr lange verwirklicht.» Ursula Ulrich betont, man lasse sich in ihrer Kirche auf Dialoge ein – «bei uns haben viele Meinungen Platz und können geäussert werden.»
Wer die Christkatholische Kirchgemeinde Region Olten näher kennenlernen möchte, ist eingeladen, den morgigen Gottesdienst oder die Wanderausstellung zu besuchen, die noch bis Ende Juli in der Stadtkirche öffentlich zugänglich ist. Jeweils sonntags ist der wöchentliche Gottesdienst, mit anschliessendem Kirchenkafi mit Zopf und Kuchen. «Und natürlich kann man sich auch einfach direkt bei mir melden», sagt die Präsidentin. Und lacht. Monique Rudolf von Rohr ist via 079 257 18 59 (fast) jederzeit erreichbar.
Der neue Kirchenführer
Rechtzeitig zur Abhaltung der Nationalsynode kann der neugeschaffene Kirchenführer «Unsere Stadtkirche» in den beiden Oltner Buchhandlungen, die sich ganz in der Nähe der Christkatholischen Stadtkirche befinden, bezogen werden. Ein schönes Werk mit 40 kommentierten Bildern, Dokumenten und Kultgegenständen sowie sehr vielen interessanten historischen Details, erarbeitet und gespendet von Alt Stadtarchivar Martin Eduard Fischer. Kurt Schibler hat viele tolle Fotos beigesteuert. «Für Oltnerinnen und Oltner ein Muss», ist Monique Rudolf von Rohr überzeugt.