Seit ein paar Monaten hat das Glockengeläut unserer Kirche gröbere Probleme. Der Stundenschlag will einfach nicht mehr klappen. Zwar stimmt die Anzahl geschlagener Stunden, doch die einzelnen Schläge missraten. Da kommt einer mit voller Lautstärke, der nächste kaum hörbar. Einige Schläge kommen verzögert, wieder andere viel zu früh auf den vorherigen folgend. Es ist eine fürchterlich unmusikalische Darbietung der ansonsten gerade von Musizierenden ihrer Akkustik wegen so geliebten Johanneskirche.
Selbstverständlich haben die Kirchenoberen reagiert und Fachleute engagiert. Denn die Bevölkerung ist empört und geniert sich geradezu ob des Kirchturms, der das Dünnerntal mit derart schrägen Tönen beschallt. Vergebens. Ursache und somit auch Linderungsmöglichkeit des Übels bleiben unbekannt.
Ich hingegen rege mich nicht auf. Nein, ich verneige mich gegen den Kirchturm, wenn ich den kaum enden wollenden Mitternachtsschlag humpeln höre. Und ich danke ihm für seine Botschaft, die er mir zuwirft: «Hör zu, wie das Leben doch ist! Mal läuft es viel zu schnell an dir vorbei. Mal harzt es. Mal bricht es mit Getöse über dich herein. Mal gönnt es dir Ruhe. Keine Stunde ist wie die andere. Also nimm es, wie es kommt und gräme nicht! Und vor allem: Versuche niemals, wirklich niemals, perfekt zu sein!»
Welch wunderbare Weisheit des Turms von St. Johannes zu Herbetswil!
Stefan Müller-Altermatt, Kirchturmversteher.