Frauenchor Balsthal / Anzeiger Thal Gäu Olten
Zählen zusammen 116 Jahre Mitgliedschaft: Helene Gehrig und Präsidentin Judith Hafner.

Die Freude am Singen verbindet – bis heute

Der Frauenchor Balsthal feiert Jubiläum und blickt auf seine 150-jährige Geschichte zurück

Niemand ist länger Mitglied im Frauenchor Balsthal als Helene Gehrig. Die 97-Jährige hat mehr als ihr halbes Leben lang im Chor gesungen, der heuer sein 150-Jahr-Jubiläum feiern kann. Die aktuelle Präsidentin Judith Hafner sieht sich derweil mit den Zeichen der Zeit konfrontiert.

Helene Gehrig hält die Lupe auf das Gruppenfoto in Schwarzweiss. «Das bin ich», sagt sie und zeigt auf eine junge Frau am linken Rand. Sie lächelt und zählt dann beinahe alle anderen Namen der Damen auf, die da mit ihren Gesangsbüchern hinter dem Dirigenten am Klavier versammelt stehen. Helene Gehrig sieht nicht mehr so gut, sie hört kaum mehr etwas, ihr Verstand jedoch ist klar. Wer sie erlebt, kann kaum glauben, dass sie in diesem Monat noch 97 Jahre alt wird.

Und Gehrigs präzise Erinnerungen sind viel wert. Sie ist das älteste Mitglied des Frauenchors Balsthal, der in diesem Jahr sein 150-jähriges Bestehen feiern kann. Ganze 76 Jahre ist sie Teil des Chors, länger als jedes andere Mitglied. Bis 2007 hat sie aktiv im Chor mitgesungen. Erst im Sopran, zuletzt im Alt. In dieser Zeit hat sie einige Höhepunkte in der Vereinsgeschichte miterlebt. Deshalb sitzt sie an diesem Tag mit der aktuellen Präsidentin des Chors, Judith Hafner, am Tisch in ihrem Zimmer im Altersheim Inseli in Balsthal und schwelgt in Erinnerungen.

Frauenchor Balsthal / Anzeiger Thal Gäu Olten
Der Chor um 1930 mit dem damaligen Direktor Paul Hägler. Im Verlauf des 20. Jahrhunderts wurden immer wieder Operetten inszeniert


Von Löffeli und Gläsern
Der Frauenchor Balsthal wurde im November 1872 «auf Anregung des Männerchors und mehreren Gesangsfreunden von Balsthal» gegründet. So wird in der Festschrift zum 100-Jahr-Jubiläum aus dem Protokollbuch des Frauenchors zitiert. 18 Mitglieder unterzeichneten damals die Statuten. In den Anfangsjahren trat der Verein gemeinsam mit dem Männerchor als Gemischter Chor auf.

Lange Zeit blieb die Zusammenarbeit der beiden Gesangsvereine eng. Der Männerchor löste sich in den 90er-Jahren auf. Der Frauenchor hingegen hat es unbeschadet ins dritte Jahrhundert seit seiner Gründung geschafft.

Helene Gehrig trat dem Chor im Jahr 1946, als 20-Jährige, bei. Sie weiss es noch auf den Tag genau: «Es war der 20. Februar, wir haben damals ein Kärtchen zum Eintritt bekommen.» Das Chormitglied Ida Meyer, die später den in Balsthal bekannten «Laden-Meyer» führte, habe im Bekanntenkreis für den Frauenchor geweibelt und so einige junge Damen für den Verein gewonnen. Zuvor, so erinnert sich Gehrig, habe dieser vor allem aus den bessergestellten Frauen des Dorfes bestanden. Den Lehrergattinnen oder den «Frau Doktors».

Frauenchor Balsthal / Anzeiger Thal Gäu Olten
Undatierte Aufnahme von einer Probe des Frauenchors Balsthal mit Dirigent Theodor Diener. In der hintersten Reihe links die junge Helene Gehrig.


Vor den älteren Damen im Verein habe sie als junge Frau Respekt gehabt. Damals, so erinnert sie sich, ging es noch streng zu und her im Frauenchor Balsthal. «Wer in einer Probe gefehlt hat, musste 50 Rappen ins Reisekässeli einzahlen.» Bei ihr sei das selten der Fall gewesen, im Gegenteil. Sie habe in ihrer Zeit als aktives Mitglied einige «Löffeli» ergattert. Eine Auszeichnung für diejenigen, die in einem Jahr am häufigsten an Proben anwesend waren.

Einige solcher Ehrungen hat auch Judith Hafner bekommen. Sie ist auch bereits 40 Jahre im Chor, seit 2016 ist sie dessen Präsidentin. «Ich habe noch gelernt: am Dienstag wird gesungen, egal was ist.» Die Präsenz an den Proben sei auch heute noch ein Thema. Statt Löffeli würden nun Gläser verliehen. Doch das passiere nur noch selten, sagt Hafner. Dass an einer Probe am Dienstagabend im Rainfeldschulhaus alle 20 aktiven Sängerinnen teilnehmen, das komme kaum mehr vor. «Es ist halt alles lockerer geworden», sagt Helene Gehrig, ohne dabei wertend zu klingen.

Viele schöne Momente auf der Bühne
Die wöchentlichen Proben des Frauenchors mündeten immer wieder in imposanten Konzerten verschiedenster Art. Zu erwähnen sind etwa die Operetten, mit denen der Verein auf sich aufmerksam machte. Darunter 1925 «Der fidele Bauer», 1937 «Im weissen Rössl» und 1946 «Die goldene Mühle». An Letztere erinnert sich Helene Gehrig besonders gerne. «Dafür mussten wir tanzen lernen.» Von 1939 an prägte der Balsthaler Komponist Theodor Diener (1908-1983) den Chor. Unter ihm wurden auch Konzerte mit anspruchsvollen Kirchenliedern aufgeführt, auch diese hat die 97-Jährige noch im Kopf. Bei wie vielen Vorstellungen sie insgesamt auf der Bühne stand, kann sie nicht mehr sagen. Es waren einfach viele. In jüngster Zeit hat der Verein rund alle zwei Jahre ein grösseres Konzert im Jahresprogramm. Darunter sind Adventsoder Weihnachtskonzerte und auch Vorstellungen, bei denen mit Tanzgruppen, lokalen Musikern oder Schülerchören zusammengearbeitet wird. Das diesjährige grosse Jubiläumskonzert am 12. November steht unter dem Motto: «Musig us der Schwyz». Wie der Name schon verrät, werden lediglich Schweizer Stücke vorgetragen. An der Jubiläumsfeier vom 13. November erhält der Chor ausserdem zum zweiten Mal den Hermann Gehrig Zahnd-Stiftungspreis für besondere kulturelle Verdienste. Bereits 1997 war ihm ausserdem der Anerkennungspreis der Gemeinde Balsthal verliehen worden.

Frauenchor Balsthal / Anzeiger Thal Gäu Olten
Zum 50-Jahr-Jubiläum 1922 schenkte der Männerchor eine Truhe, auf der die Namen aller Gründungsmitglieder des Frauenchors verewigt sind.


Geselligkeit als wichtiger Wert
Wenn sich Helene Gehrig an ihre vielen Jahre als aktive Sängerin im Frauenchor besinnt, dann denkt sie auch an den Zusammenhalt und die Freundschaften, die in dieser Zeit entstanden sind. Seit jeher trafen sich die Chorfrauen nicht nur im Probesaal. In Erinnerung geblieben sind der Balsthalerin zahlreiche Vereinsreisen, zum Beispiel nach Lugano oder St. Moritz. «Da wurde schon im Bus oder Auto gesungen», sagt sie und lacht. Auch kleine Feste, Mitarbeit bei Dorfanlässen, interne Jassgruppen oder das Organisieren von Kaffeestübli haben den Zusammenhalt geprägt.

Frauenchor Balsthal / Anzeiger Thal Gäu Olten
Freundschaft und Zusammenhalt, seit jeher wichtige Pfeiler des Frauenchors. Für Helene Gehrig (ganz links im Bild) eine der schönsten Erinnerungen.


Geselligkeit sei auch heute wichtig, sagt Judith Hafner. Vereinsreisen, Gesangsfeste oder das Zusammensitzen nach den Proben gibt es immer noch. All dies jedoch in kleinerer Runde, in grösseren Abständen. Die Vereinskultur sei heute eine andere. Der Zahn der Zeit macht auch vor dem Frauenchor Balsthal nicht Halt, wie die Mitgliederzahlen belegen. Diese waren über die letzten 150 Jahre schwankend. So ist in alten Protokollen zeitweise von 60 aber auch von nur 14 Sängerinnen zu lesen. Aktuell hat der Verein 26 Mitglieder, wovon 20 Frauen aktiv im Chor singen. Sie sind zwischen 44 und 76 Jahre alt. Neue Mitglieder zu finden sei schwierig. «Viele Frauen wollen lieber in den gemischten Chören singen», sagt die Präsidentin. Auch die bewährte Nachwuchsstrategie, dass Frauen ihre Töchter, Schwiegertöchter und Nichten mitbringen, sei kein sicherer Wert mehr. Deshalb gehe man immer wieder aktiv auf potenzielle Neumitglieder zu. Dass das bestens funktionieren kann, beweisen Judith Hafner und Helene Gehrig.

Auf die Frage, was sie so lange im Verein gehalten hat, antworten beide Frauen gleich. Es ist schlicht und einfach die Liebe zum Singen. «Singen befreit, tut gut und lässt einen alles vergessen», sagt Judith Hafner. Wer singt, habe mehr vom Leben. Helene Gehrig kann diesen Satz mit Sicherheit unterschreiben.

www.frauenchor-balsthal.ch

Text: MB & Fotos: MB/ZVG