Verein Pro Audito / Anzeiger Thal Gäu Olten
Geschäftsführer Rainer Nussbaumer (links) und Albert Schumacher sind stolz auf die 90-jährige Vereinsgeschichte.

Der Stille den Schrecken nehmen

Seit 90 Jahren hilft der Verein Pro Audito Menschen mit Hörproblemen

Im Verein Pro Audito Region Olten finden Menschen mit Hörproblemen eine Anlaufstelle, Beratung und Freizeitangebote. Ziel ist es unter anderem, den Mitgliedern mehr Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen. Schlecht zu hören kann einsam machen.

Menschen, die unter Hörproblemen leiden, tun dies oft still und heimlich. Viele schämen sich, gehen weniger unter Leute und warten lange, bis sie sich ärztlich untersuchen lassen. Das kennt auch Albert Schumacher: «Man hockt am Tisch in der Beiz und lacht, obwohl man nichts verstanden hat.» Jahrelang hätten ihm seine Frau und die Kinder gesagt: «Geh zum Arzt, du hörst nicht gut.» Trotzdem habe es lange gedauert, bis er ihrem Drängen nachgegeben hat. Heute trägt der 78-Jährige seit vielen Jahren ein Hörgerät. Diese sind im Zuge der technischen Entwicklung immer kleiner geworden, fallen kaum mehr auf. Und doch: Die Hemmschwelle sei für viele gross. Auch deshalb engagiert sich Albert Schumacher für andere Betroffene. Seit 2009 ist er Präsident von Pro Audito Region Olten. Der Verein hilft Menschen mit Hörproblemen im Alltag, unterstützt sie bei Behördengängen, bietet ihnen Freizeitaktivitäten und vor allem: Ein verständnisvolles Umfeld. «Hier ist man unter Gleichgesinnten», sagt Schumacher.

Der Verein kann auf eine lange und erfolgreiche Geschichte zurückblicken. In diesem Jahr feiert er bereits sein 90-JahrJubiläum. Gegründet wurde er im Jahr 1932 von einem jungen Mann, der aus seiner Not eine Tugend machte.

Junge Betroffene tun sich zusammen
Otto Zwick, Mitbegründer und während 40 Jahren Präsident des Vereins, hat eine spannende Lebensgeschichte. Er wurde 1904 im Kanton Thurgau geboren, zog aber früh nach Olten, wo der Vater ein Malermeistergeschäft führte. Sein Leben schien in guten Bahnen zu verlaufen. Er verbrachte als junger Mann einige Zeit im Ausland, hatte eine gute Stelle bei der städtischen Krankenkasse und kletterte die Militärkarriereleiter hinauf. Bis sich im Sommer 1928 sein Leben schlagartig änderte. Beim Einsatz als Offizier in Liestal erkrankte er an einer Hirnhautentzündung infolgedessen er beidseitig vollständig ertaubte. In Erzählungen über ihn ist zu lesen, dass der damals 24-jährige Zwick seinen Job verlor, von Bekannten gemieden wurde und in eine Krise geriet. Früh setzte er sich aber auch damit auseinander, wie er seine Situation verbessern könnte. Er besuchte sogenannte Absehkurse, in denen er lernte, besser von den Lippen anderer abzulesen. Dafür musste er nach Aarau oder Gunten reisen, in Olten gab es solche Angebote nämlich nicht. Als ihm dann sein Ohrenarzt den schwerhörigen Paul Fiedler aus Zofingen vorstellte, beschlossen die beiden, einen Verein zu gründen, um die Situation von Betroffenen in der Region zu verbessern.


Im November 1932 war es so weit: Gemeinsam mit 13 anderen jungen hörbehinderten oder gehörlosen Menschen gründen sie den «Schwerhörigenverein Olten und Umgebung». Der Verein war von Anfang an Mitglied der 1920 in Zürich gegründeten Dachorganisation «Bund Schweizerischer Schwerhörigenvereine (BSSV)». Der Mitgliederbeitrag betrug fünf Franken im Jahr und konnte in zehn Monatsraten von je 50 Rappen bezahlt werden. In den Statuten wurde der Vereinszweck unter anderem wie folgt definiert: «Er will insbesondere auch die durch Schwerhörigkeit und Taubheit aus dem Verkehr bedrängten, zur Zurückgezogenheit verurteilten Personen dem Leben und der Gesellschaft zurückgeben, sie wieder zu frohen und leistungsfähigen Menschen machen.» Otto Zwick selbst erreichte dieses Ziel. Er fühlte sich bald wieder in die Gesellschaft integriert und führte ein erfülltes Leben. Er heiratete, wurde Vater dreier Kinder und brachte es beruflich bis zum Stellvertreter des Steuerverwalters im Stadthaus. So heisst es in einem Text über ihn, dass die Stille, die ihn umhüllte, mit der Zeit ihren Schrecken verloren, ja er sie sogar lieben gelernt hat. Er starb 1992. Sein Sohn Urs B. Zwick war bis zu dessen Tod 2010 ebenfalls viele Jahre Präsident des Vereins.

Erfolgreiches Hörmittelgeschäft
Als erstes packte der frischgegründete Schwerhörigenverein eines der Hauptprobleme an und organisierte eigene Absehkurse in Olten. Schon früh war es ihm aber auch ein Anliegen, seine Mitglieder vor Betrug zu schützen. Unseriöse Anbieter brachten nämlich immer wieder untaugliche Hörgeräte an den Mann und die Frau. Dem wollte man einen Riegel vorschieben. Zum einen durch rechtliche Beratung, zum anderen mit der Gründung einer Hörmittelzentrale im Jahr 1949. In Zusammenarbeit mit Ohrenärzten wurden den Kunden geeignete Hörgeräte vermittelt. Was zuerst eine mobile Beratungsstelle war, wurde im Laufe der Jahre zu einem erfolgreichen Hörmittelgeschäft mit mehreren Filialen im Mittelland. Mit den Jahren wurde der Aufwand für den Verein jedoch zu gross. 1999 verkaufte er die Geschäfte an die deutsche Firma «Kind».

Im Jahr 2001 wurde der Name der Dachorganisation und dementsprechend auch aller zugehörigen Vereine zu «Pro Audito» geändert. Heute ist der Oltner Ableger mit seinen 462 Mitgliedern der schweizweit grösste Verein von Pro Audito Schweiz. Eines der Erfolgsrezepte sei die Möglichkeit der Ehepaar-Mitgliedschaft, erzählt Rainer Nussbaumer. Er ist seit 15 Jahren Geschäftsführer des Vereins und auch im Zentralvorstand von Pro Audito Schweiz. «Hörprobleme beeinträchtigen auch den Partner», sagt er. Im Verein können auch Angehörige Hilfe finden und die Betroffenen an die Kurse begleiten. Diese bestehen auch heute noch aus Hör- und Lippenlestrainings. Die Gebärdensprache, die vorwiegend von Geburt an Ertaubte lernen, wird bei Pro Audito nicht vermittelt. «Unsere Mitglieder haben alle einmal gehört», erklärt Nussbaumer. Dementsprechend sind unter den Mitgliedern viele ältere Menschen.

Eine unsichtbare Einschränkung
Heute gehören nach wie vor Rechtsberatungen zum Angebot. «Viele Betroffene wissen nicht, was sie für Ansprüche haben», sagt Nussbaumer. Mitglieder bekommen ausserdem Tipps für den Hörgerätekauf. Darüber hinaus werden über das Jahr verteilt zahlreiche Aktivitäten angeboten. Mitglieder treffen sich zum Kegeln, Wandern, gemeinsamen Mittagessen oder auch zum Jassen oder «Dog» spielen.

Finanziert wird der Verein mit Mitgliederbeiträgen und immer noch aus dem Verkaufserlös des Hörgerätegeschäfts in den 90er-Jahren. Ein kleiner Beitrag stammt aus Spendeneinnahmen. Bei Letzterem kämpft der Verein mit einer nicht zu vernachlässigenden Tatsache: «Hörprobleme sind eine Behinderung, die man nicht sieht», sagt Rainer Nussbaumer. So sei es für Verein und Betroffene schwieriger, Unterstützung und auch Verständnis, beispielsweise von Arbeitgebern, zu bekommen. Nichtsdestotrotz, die Mitarbeiter und Ehrenamtlichen von Pro Audito Region Olten werden sich weiterhin engagieren. Ganz im Sinne seiner Gründer. Für die Zukunft hat Präsident Albert Schumacher vor allem einen Wunsch, dass andere nicht denselben Fehler machen wie er. Er rät Betroffenen: «Wartet nicht so lange wie ich und lasst euch beraten.»

Text: MB & Bilder: MB/ZVG