Wir sollen doch vorbeikommen, haben sie gesagt, sie möchten uns ihr schmuckes Daheim zeigen. Ein Jahr schoben wir den Pflichtbesuch vor uns her; heute statten wir ihn ab. Schon aus der Ferne sticht das Heimetli unserer Gastgeber aus der Reihenhaussiedlung heraus. Es strahlt regelrecht und trägt majestätisch die Insignien kleinbürgerlichen Wohlstands zur Schau: hingebungsvoll gepflegter Vorgarten mit englischem Rasen, grosszügiger Wintergarten, der als Orangerie für tropische Pflanzen dient, blitzblankes Garagentor, hinter dem ein neues Elektroauto am Strom nuckelt, Photovoltaikanlage auf dem Dach.
«Alles zu unterhalten, macht sehr viel Arbeit», verrät der Besitzer stolz. «Am 9. Januar habe ich bereits zum ersten Mal den Rasen gemäht. Vor acht Uhr.» Da werden sich die Nachbarn gefreut haben, denken wir. Die Hausbesichtigung (wir werden geheissen, die Schuhe auszuziehen) lässt keinen Winkel aus und führt vom Keller bis unters Dach. Alles ist akribisch geputzt und penibel aufgeräumt. Der Hund passt farblich zur Einrichtung. Mit ihm unternähmen sie täglich zwei ausgedehnte Spaziergänge, das sei man dem Tier schuldig.
«Woher nehmt ihr bloss all die Zeit?», fragen wir uns und ihn. «Man könnte meinen, ihr seid mit Mitte dreissig schon in Pension.» «Viel besser», erklärt er, «seit zwei Jahren arbeiten wir im Homeoffice. Da stimmt die Work-Life-Balance.» «Ach, da schockiert es euch sicher, dass euer Brötchengeber vor der Pleite steht», wenden wir ehrlich besorgt ein. Er winkt ab. «Bei denen wundert mich gar nichts, das Management hat den Laden einfach nicht im Griff!»
Statt den Rasen zu mähen hat der Autor diese Kolumne verfasst.