Vor Jahren hat Madeleine Plattner ihre Mutter in den Tod begleitet. Seither hegte die Niederbuchsiterin den Wunsch, sich mit dem vermeintlichen Tabuthema Tod intensiver zu beschäftigen. Vor Kurzem hat sie deshalb einen Lehrgang zur Sterbe- und Abschiedsbegleiterin absolviert und möchte diese Erfahrung keinesfalls missen.
Der Tod wird oft als «das letzte Tabu» bezeichnet. Er gehört zum Leben dazu und doch wird er gerne so lange verdrängt, bis es nicht mehr geht. Sich mit der eigenen Endlichkeit befassen? Das wollen viele nicht. Ganz anders sieht es bei Madeleine Plattner aus. Seit vielen Jahren schon hegt die 47-Jährige den Wunsch, sich dem Thema zu stellen, mehr darüber zu lernen und dem Schreckensgespenst Tod mit mehr Gelassenheit und Reife entgegenzublicken.
Viel zu früh nämlich musste sie sich gezwungenermassen mit dem Thema auseinandersetzen. Vor 17 Jahren verlor sie ihre Mutter. Damals begleitete sie diese in den Tod. Rückblickend sagt sie: «Ich habe einfach mein Bestes gegeben, bin ihr beigestanden und habe versucht, sie aufzumuntern.» Über das Sterben an sich habe sie mit ihrer Mutter jedoch nicht gesprochen. Hätte sie damals mehr über den Sterbeprozess gewusst, wäre sie weniger hilflos gewesen, glaubt sie. Deshalb hat sie einen Wunsch: «Das nächste Mal will ich besser vorbereitet sein.»
Dabei denkt Madeleine Plattner, die ursprünglich aus Deutschland stammt, nicht nur an ihren 84-jährigen Vater, sondern auch an sich selbst. «Wenn es so weit ist, will ich die Kraft und Reife haben, damit umzugehen. Ich will den Tod nicht nur als Grausamkeit begreifen.»
Sich in der Gesellschaft engagieren
Und es ist noch etwas anderes, was sie antreibt: Sie ist sehr sozial und ökologisch veranlagt. Engagiert sich in verschiedenen Bereichen freiwillig. In ihrem Beruf aber geht es eher um Finanzielles. Plattner arbeitet als Kundenberaterin bei einer Bank. «Meine Tätigkeit ist ergebnisorientiert, menschliche Befindlichkeiten stehen da naturgemäss nicht so sehr im Zentrum.» Das Bedürfnis, sich als Ausgleich ehrenamtlich einzubringen und sich in der Gesellschaft zu engagieren, ist gross. Immer wieder kam in Madeleine Plattner deshalb der Wunsch auf, sich in der Sterbebegleitung weiterzubilden. Sterbebegleiterinnen und -begleiter stehen sterbenden oder schwerkranken Menschen in der letzten Zeit vor dem Tod bei und begleiten sie zuweilen bis ganz zum Schluss.
Wie der Zufall es wollte, sah sie Anfang letzten Jahres in diesem Anzeiger ein Inserat des Lehrgangs zur Sterbe- und Abschiedsbegleiterin von individuelle-begleitung.ch in Solothurn. Intuitiv entschloss sie sich dazu, «endlich» ihrem langjährigen Wunsch nachzugehen. Etwas Überwindung habe es aber schon gebraucht, sagt sie. «Ich habe mich natürlich gefragt: Stehe ich das mental durch?»
Wunder der Natur
Von Februar bis November 2022 dauerte der Lehrgang zur Sterbe- und Abschiedsbegleitung. Jeweils an einem Wochenende im Monat trafen sich die Kursteilnehmenden, sechs Frauen und ein Mann, mit den beiden Leiterinnen Christine Rindlisbacher und Daniela Zumsteg. Wenn Madeleine Plattner von ihren Erfahrungen im Kurs erzählt, dann strahlt sie und kann nicht mehr aufhören zu schwärmen. Es scheint, als hätte ihr der Kurs die Türe zu einer lange verschlossenen Pforte geöffnet.
In den zehn Monaten lernten Plattner und die anderen Teilnehmer nicht nur, wie sie mit Sterbenden umgehen können, sie blickten auch hinter die Kulissen vieler Institutionen und Bereiche, die mit Tod und Sterben verbunden sind. So besuchten sie etwa den grössten Friedhof der Schweiz, den Friedhof am Hörnli in Riehen, und besichtigten dort eine Abdankungs- und Bestattungshalle. Sie bekamen Einblicke in ein Krematorium, lernten, wie viel ein Sarg kostet oder was für verschiedene Bestattungszeremonien es gibt. «Das eine oder andere hört sich vielleicht makaber an, war es aber überhaupt nicht», stellt sie klar. Ausserdem besuchte die Gruppe ein Hospiz in Basel, konnte sich mit Trauerrednern, erfahrenen Sterbebegleiterinnen und Hinterbliebenen austauschen, lernte, welche Phasen ein sterbender Mensch durchlebt und was eigentlich im Körper dabei passiert. Letzteres habe sie besonders fasziniert, sagt Plattner. «Es ist ein unglaublicher Mechanismus, der da ineinandergreift.» So werden im Gehirn eines sterbenden Menschen beispielsweise schmerzlindernde Botenstoffe ausgeschüttet. «Es ist ein Wunder der Natur, wie das Körpersystem geregelt zurückgefahren wird.»
Doch auch wenn die Gäuerin nach den monatlichen Treffen jeweils sehr erfüllt war, spurlos sind sie nicht an ihr vorbeigegangen. Sie sei jeweils sehr erschöpft gewesen und habe auch viel geträumt in der Zeit. «Ich war froh, dass immer ein Monat zwischen den Sitzungen lag, so dass wir das Erlebte verarbeiten konnten.» Geholfen habe ihr dabei auch die Begleitung durch die Kursleitung und die anderen Teilnehmenden. Zwischen diesen sei in der Zeit nämlich eine tiefe Verbindung entstanden. Jeder von ihnen hatte in der Vergangenheit schon auf die eine oder andere Art Erfahrung mit dem Tod. Diese unterschiedlichen Sichtweisen seien sehr bereichernd gewesen, erzählt Plattner. «Ich bin so dankbar für diese Erfahrung.»
Den Schrecken nehmen
Ihr Blick auf den Tod habe sich durch den Kurs geändert, sagt sie. Sie habe erfahren, dass das Thema auch mit Harmonie und Bereicherung zu tun haben kann. «Der Tod hat auch eine sehr friedliche Komponente, ich glaube, dieser wird in der Gesellschaft zu wenig Beachtung geschenkt.»
Aber: Die Angst davor habe sie nicht gänzlich verloren. Es sei wohl menschlich, sich vor dem Ungewissen zu fürchten. Dass sie sich so intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt habe, nehme ihr aber ein wenig den Schrecken. «Ich bin stolz, dass ich mich dem gestellt habe.» Den Wunsch, sich weniger hilflos zu fühlen, konnte sie sich mit dem Kurs erfüllen.
Geld verdienen möchte Madeleine Plattner mit dem Zertifikat, welches sie im Lehrgang erworben hat, nicht. Sie möchte ihrem Beruf im Finanzwesen treu bleiben. Seit Kurzem aber ist sie, neben ihren anderen Ehrenämtern beispielsweise in einem Therapie-Tiergarten einer psychiatrischen Klinik, auch bei der GAG im Demenzzentrum Lindenpark in Balsthal als Freiwillige tätig. Dort nimmt sie sich Zeit, um den Bewohnerinnen und Bewohnern Geschichten vorzulesen oder mit ihnen zu malen. In dieser Funktion könne sie sich in Zukunft auch vorstellen, einen Sterbenden zu begleiten. Etwa wenn dieser keine Angehörigen hat. «Wenn es so sein soll und ich die Stärke habe, werde ich vermutlich dankbar und erfüllt sein, diesen intimen Moment mitzuerleben.»