Mit spitzer Feder

Tanja Baumberger

Scheitern funktioniert nicht in unserer Kultur. Bereits die Kleinsten sagen mir im Unterricht oft: «Das chan i nit!», mit der puren Verzweiflung im Gesicht. Ich erkläre dann, dass wir beim Laufenlernen auch x-mal hinfallen und wieder aufstehen – und nur so das Laufen überhaupt erst erlernen.

In Theatern in den Niederlanden, Grossbritannien und den USA gibt es Tryouts oder Previews, Vorstellungen, in denen ein neues Stück vor Publikum getestet wird. Viele Leute kaufen sich die Karten für diese Voraufführungen, denn in den oft zu langen Vorstellungen ist Fantastisches zu entdecken. Hier kenne ich dies kaum, es muss von Anfang an gleich funktionieren! Hier gibt es keine Kultur des Versagens, des Lernens. Wenn man nichts versucht, macht man auch nichts falsch.

Christina Aguilera propagiert im Bereich Stimmbildung, dass man Fehler machen und an die Grenze gehen muss, um zu erfahren, was noch geht und was nicht, und so eine Stimme zu entwickeln.

Wenn ich mal wieder in meiner zweiten Heimat, den Niederlanden, bin, fällt mir auf, wie entspannt die Menschen dort generell sind. Der gemeine Niederländer hat einen weiten Blick, ist offen und lebt unter dem Motto «Leben und leben lassen». Er macht Fehler und geht weiter. Sind wir wirklich ein Volk von «Neidgenossen»? Dann sage ich «tschüss» beziehungsweise «en tot ziens» und bin im Herzen aus Holland.

Wer Scheitern kennt, weiss, dass in der Schweiz Fehler zu machen nicht einfach «Krone richten und weiter gehen» heisst. Es gibt meist kostenlos Häme und schelmische Freude.