Mit spitzer Feder

Nicolas Russi

Am Frückstückstisch, neulich beim Zeitunglesen:
Er: Sie tun mir leid.
Sie: Wer?
Er: Die, die unverschuldet in den Dreck gezogen werden.
Sie: Die tun einem grundsätzlich leid.
Er: Dabei können sie wirklich nichts dafür.
Sie: Aber wen meinst Du? Die kriegsgeplagten Ukrainer? Oder die Minderheit der vernünftigen US-Amerikaner?
Er: Die tun mir natürlich alle auch leid, sehr sogar. Aber sie stehen mir nicht so nahe wie die andern.
Sie: Ich bin es, die Dir am nächsten steht. Tue ich Dir leid, weil Du wieder mal in Rätseln sprichst? Oder wer sonst?
Er: Ich weiss, auch sie haben rückblickend einiges auf dem Kerbholz. Sie haben zum Beispiel 1782 die letzte Hexe hingerichtet.
Sie: Das ist längstens verjährt…
Er: …aber sie haben auch Gutes getan. Sie waren zum Beispiel sehr innovativ in der Industrialisierung des Textilgewerbes. Und vor über 15 Jahren haben sie beschlossen, den ganzen Kanton auf nur drei Gemeinden zusammenzulegen.
Sie: Was hat das mit Deinem Mitleid zu tun?
Er: Es ist ganz einfach. Wenn Du irgendwo hingehst und sagst, Du seist Berner, Basler oder Zürcher, ist üblicherweise kein Problem, abgesehen von ein paar Sticheleien. Aber sag mal, ich bin Gl…
Sie: Gl… – jetzt versteh ich! Du hast recht, dieser Name löst mehr Ekel und Abscheu aus als der Geruch eines überreifen Schabzigers…
Er: Und irgendwie scheint es mir, als sei auch die Hexenjagd wieder zurück…

Aus Fairnessgründen werden hier weder Adresse noch Telefonnummer genannt.