1891 bauten die damals gerademal etwa 300 erwachsenen Herbetswiler die Kirche St. Johannes. Mit Spendengeldern – dem letzten Hemd – und in Fronarbeit, nach endlos langen Tagen im Eisenwerk, auf dem Feld und im Stall. In den 1980er-Jahren durfte ich als Ministrant in Wolfwil an Maria Himmelfahrt immer ausserhalb der Kirche «dienen». Die Gäuer Wallfahrt zog so viele Menschen an, dass es jemanden brauchte, der das Kirchenopfer bei denjenigen Pilgern einzog, die im Kircheninnern keinen Platz fanden.
Megabauten und Massenevents. Die Kirche war kulturprägend. Diese Stellung hat sie verloren. Das stört nur Wenige. Was tatsächlich schwerer wiegt als die Änderung des Sonntagsprogramms ist der Verlust des christlichen Wertekompasses – das spürt man jetzt, im Moment, in dem die Welt brennt.
Als der erste Völkermord an Armeniern im osmanischen Reich stattfand, spendeten die Schweizer eine Million Franken, 450 000 unserer Landsleute unterschrieben eine Petition – anno 1896! Die 120 000 Armenier, die vor zwei Monaten aus Bergkarabach vertrieben wurden, ernteten Gleichgültigkeit.
Als die Nazis die Macht ergriffen und die Juden ermordeten, war für die breite Bevölkerung klar, wer das Böse darstellt: Hitler. Heute hört man an Demos wieder antisemitische Parolen statt solche zum allseitigen Schutz der Zivilbevölkerung.
Unter dem Strich ist es einfach nur schade, hat die Kirche hierzulande die Menschen verloren. Mir scheint, es fehle ihnen derzeit schon etwas: die einstige Hoffnung in den Friedensfürsten.
Stefan Müller-Altermatt denkt, er sei wohl ein konservativer Pazifist.