Der reformierte Kirchenchor Balsthal kann sein 125-jähriges Bestehen feiern. Seit Monaten wird fleissig geprobt und organisiert, um gemeinsam mit dem katholischen Chor Holderbank das «Messias-Pop-Oratorium» von Tore W. Aas aufzuführen. Am 3. Dezember in Welschenrohr und am 10. Dezember in Balsthal, jeweils um 17 Uhr in der reformierten Kirche, finden zwei Konzerte statt.
Am 11. November probten die Sängerinnen und Sänger gleich den ganzen Tag, bis die Lieder aus Teilen des anspruchsvollen Oratoriums perfekt sassen – die eingebauten theatralischen Elemente inklusive. Beim Blick ins Archiv findet man Liedtexte, Zeitungsberichte, GV-Protokolle, Fotos und Kassabücher eines langlebigen, aber eben immer auch junggebliebenen Chors.
Anfang 1898 wurde der Kirchenchor auf Initiative von Pfarrer Iselin gegründet. Er war auch gleich Dirigent und Emil Wyss der erste Präsident. Laut den ersten Statuten hatten weibliche Mitglieder keinerlei Mitbestimmungsrecht und durften nicht in den Vorstand gewählt werden. Jeder Austretende musste zwei Franken in die Kasse zahlen, unentschuldigtes Wegbleiben an Proben wurde mit 20 Rappen Busse bestraft. Die monatlichen Beiträge beliefen sich für Aktive auf 30 Rappen und für Passive auf einen Franken. Wer dem Chor beitreten wollte, hatte nach einigen Probebesuchen eine Aufnahmeprüfung zu bestehen. Schon im Folgejahr wurden die Statuten angepasst, offenbar wegen mangelnder Disziplin.
Theodor Diener während fast vier Jahrzehnten an der Spitze
Pfarrer Iselin gab nach einem Jahr seinen Dirigentenstock an Pfarrer Schmid weiter. Dieser leitete den Chor 35 Jahre lang, bis Lehrer Heutschi 1935 für zehn Jahre seine Nachfolge antrat. Der Lehrer und Kirchenmusiker Theodor Diener übernahm den Chor und begeisterte die Singenden während insgesamt 38 Jahren für die Schönheit der Kirchenmusik. Er durfte 1975 als Komponist den kantonalen Kulturpreis entgegennehmen. 1982 trat er aus gesundheitlichen Gründen zurück, nach langer Suche wurde Organist Christian Lutz als Dirigent gewonnen. 1991 trat die erste Frau, Dorothea Minkner, in seine Fussstapfen. Ende 1998 musste sie krankheitshalber demissionieren, worauf Renate Buser stellvertretend einsprang. 1999 übernahm Edith Schenk die Leitung und brachte mit neuem Liedgut frischen Wind in den Chor.
Seit 1898 gab es 14 Präsidierende, darunter vier Frauen. Aktuell führt Kathrin Kappeler das Amt.
Frischer Wind dank Edith Schenk
Der Chor hatte oft zu wenig Männerstimmen, weil die Frauen in der Überzahl waren. Während des 1. Weltkrieges musste die Tätigkeit wegen Grippe und Militäreinsätzen teilweise eingestellt werden. In den Jahren des 2. Weltkrieges sank der Bestand so tief, dass nicht mehr vierstimmig gesungen werden konnte. Ab 1945 stieg die Mitgliederzahl auf 35, aber 1987 herrschte erneut eine Flaute. Mangels Nachwuchs war der Chor überaltert, trotz Werbung 1988 fand man nur ein einziges neues Mitglied. Immerhin kamen 1997, dank der Auflösung des Männerchors, einige Stimmen dazu.
Edith Schenk führte zeitgemässe Lieder und Gospel ein. Das stiess zuerst auf etwas Widerstand der älteren Generation. Mit der Zeit gefiel diese modernere Musik aber allen. Ein Zuwachs von jungen Sängerinnen und Sängern senkte das Durchschnittsalter des Chors. In erster Linie singt er kirchliche Musik in Gottesdiensten. Es werden auch Ständeli vorgetragen, bei Gelegenheiten wie im Altersheim, an Geburtstagen und Beerdigungen. Seit der Gründung wurde ein jährlicher Ausflug durchgeführt, um den Zusammenhalt zu fördern. Seit längerem wird jährlich ein «Sing-Samstag» durchgeführt.
Der damalige Pfarrer Schmid war ein echter Freund von Geselligkeit. Deshalb wurde ab Februar 1900 ein Familienabend veranstaltet. Der Chor sang Lieder und führte ein Theaterstück auf.
Umfangreiche Choraktivitäten
Im Dezember 1898 trat der Chor zum ersten Mal auswärts auf, zusammen mit dem Kirchenchor Langenbruck, zur Einweihung der reformierten Kirche in Egerkingen. Die Weihnachtsfeier 1899 in der Ottilienkapelle war durch die Mitwirkung des Chors, gemeinsam mit Kindern, ein unvergessliches Familienfest. Seither diente der Ablauf als Grundlage für die folgenden Jahre. Ab 1911 gestaltete man die traditionellen Berggottesdienste auf dem Brunnersberg mit. Im Jahr 1954 wurden die «Johannes-Passion » von Heinrich Schütz und 1957 die «Matthäus-Passion» von Johann Sebastian Bach dargeboten.
Ab 1978 sangen die beiden Kirchenchöre Balsthals jährlich zusammen während der Gottesdienste: Am Einheitssonntag in der reformierten und am Bettag in der katholischen Kirche. So begann die ökumenische Bewegung, gefördert von den Pfarrherren Fritz Sartorius und Franz Jäggi. Die gemeinsamen Auftritte wurden beibehalten, bis die Corona-Krise sie zum Verschwinden brachte.
Die Tricks der Dirigentin
Edith Schenk leitet den reformierten Kirchenchor Balsthal seit nunmehr 24 Jahren. Durch gezieltes Einsingen, mit auflockernden Übungen, einem professionellen Stimmtraining und dem Anbringen von Lob und Kritik auf humorvolle Art hat sich die Gesangsqualität des Chors sehr verbessert. Für das Einbauen pantomimischer Elemente und Tragen einheitlicher Kleider erntete sie viel Lob. Trotz der Pandemie konnten die Singproben dank Livestream durchgeführt werden. Das erforderte von Edith Schenk viel Flexibilität, denn sie stand allein in der kalten Kirche und dirigierte einen unsichtbaren Chor. Nach Aufhebung der Massnahmen brauchte es Tricks der Dirigentin, um die Mitglieder wieder in das Übungslokal zu locken.
Für die bevorstehenden Konzerte übersetzte Edith Schenk das Oratorium vom englischen in den schweizerdeutschen Text. In aufwändiger Arbeit notierte sie die Noten für Querflöten selbst. Der Chor singt und wird alles theatralisch darstellen. Das Stück wird von einer Querflötistin und einer dreiköpfigen Band begleitet.