Mit 41 Jahren begann sie wettkampfmässig zu laufen und war rasch schneller unterwegs als die Allermeisten: Arlette Maurer. Ihr 50. Geburtstag am kommenden Sonntag ist für Oltens Bürgerschreiberin ein Tag wie jeder andere. Und bestenfalls Ansporn, auch in der Kategorie F50 durchzustarten und spätestens 2026 wieder Marathonläufe zu bestreiten. «Mal in Athen zu laufen, das wäre wohl das Grösste für mich», sagt sie. Aber eigentlich will sie nur eines: laufen, laufen, laufen.
Mit viel Ausdauer joggen ging Arlette Maurer immer schon. Lange Jahre tat sie dies allein, ohne Hilfsmittel wie etwa eine Uhr – und auch gänzlich ohne konkreten Plan. Sie wusste weder wie viel noch wie schnell sie jeweils durch die Wälder gerannt war. Erst als sie sich mit ein paar Gleichgesinnten für einen Extrem-Hindernislauf anmeldete und sie, als Aufgalopp quasi und notabene als 41-Jährige, im Jahr 2015 den GP von Bern absolvierte, realisierte sie: «Ich laufe ganz schön schnell.» In der Tat: Mit 1 Stunde 18 Minuten für die zehn Meilen (gut 16 Kilometer) lief sie als blutige Anfängerin auf Anhieb auf Rang 15 von über 4500 Teilnehmerinnen. Und fühlte sich im Ziel kein bisschen müde. «Da packte mich der Ehrgeiz», erinnert sie sich. Sie verlängerte sukzessive die wöchentlichen Trainingseinheiten, danach das Pensum pro Einheit und schliesslich die Intensität. Kurz: Sie verpasste ihrem Lauftraining professionelle Strukturen.
Ein Erfolg ging einher mit dem nächsten
Die Erfolge liessen nicht auf sich warten: Bei ihrem ersten Marathon, 2017 in Berlin, lief Arlette Maurer mit 2:57 eine grossartige Premierenzeit. Auch wenn es für den Geschmack der Einzelgängerin «viel zu viele Leute» hatte, die die Strecke säumten. Im Folgejahr holte sie sich mit riesigem Vorsprung in ihrem erst zweiten Marathonlauf den Sieg im Aargau Marathon, der ihr sehr viel bedeutet hat. Der Lauf fand in der näheren Region statt, mit coupierter Strecke, wie sie es mag. Sie holte in ihrer Alterskategorie einen Titel nach dem anderen, so die Schweizermeister-Titel über 10 Kilometer, Halbmarathon und Marathon, sie gewann Stadtläufe und Volksläufe und glänzte oft mit vordersten Klassierungen im Overall-Klassement, also im direkten Vergleich auch mit den ganz jungen Läuferinnen. Kein Wunder, feierte die lokale Presse sie schon bald als «Oltens ausdauernde Bürgerschreiberin».
Gedanklich räumt sie den Tag auf
So kann man sich leicht ausmalen, was es für sie hiess, als sie kurz vor Ausbruch der Pandemie die Diagnose «Fersensporn» erhielt. Seit Monaten war sie mit Schmerzen im Fuss gelaufen, längst hatte sie gegoogelt und ahnte, welcher Befund sie erwartete. Zum Trotz lief sie am Abend vor der MRI-Untersuchung nochmals 30 Kilometer von Olten nach Aarau. Nach dem Besuch beim Arzt war ihr «nur noch zum Heulen zumute», wie Arlette Maurer sagt. Drei Monate lang rannte sie keinen Meter, weil es ihr schlicht verboten worden war. Langsam stieg sie wieder ein, steigerte nach und nach ihr Pensum, spürte aber immer wieder, trotz regelmässiger Besuche beim Physiotherapeuten, den Schmerz in der Ferse. Erst Monate später, als sie sich schon damit abgefunden hatte, nie mehr richtig joggen zu können, waren die Schmerzen weg. «Von einem Tag auf den anderen.» Heute trainiert sie wieder zwischen 80 und 100 Kilometer pro Woche, beschwerdefrei. Zu ihren Spitzenzeiten waren es 120, Longjog am Wochenende inklusive.
«Joggen gibt mir einfach ein positives Gefühl. Es ist mein Lebenselixier – wer mir das Laufen nimmt, nimmt mir die Freude am Leben», sagt sie mit Nachdruck. Dass sie seit jeher alleine laufe und dabei nie Musik höre, komme ihr in den Wettkämpfen sicherlich zugute. «Das hat mich zäher gemacht», ist sie überzeugt. Für Joggende, die sich die ganze Zeit «berieseln lassen», hat sie null Verständnis. Wer das tut, hat nach Meinung Maurers nicht verstanden, was es einem gibt, im Wald, in der Natur, unterwegs zu sein. «Wenn ich abends laufen gehe, lasse ich alles hinter mir und räume gedanklich den Tag auf.»
Eine Motivation für alle Jungen
Nach Corona hat sie wettkampfmässig fast nur noch Bergläufe absolviert. Sie mag es, neue Strecken zu entdecken. «Und die Mitläufer am Berg sind auch viel relaxter.» So bestritt sie 2023 viele Läufe der Jura-Top-Tour und als Höhepunkt eine Sonderedition des Jungfrau- Halbmarathons. Im Berner Oberland verblüffte die 49-Jährige mit einem dritten Platz im Overall-Klassement. «Das freute mich enorm und zeigte mir: Wenn ich will, kann ich schon noch Gas geben! » Am kommenden Sonntag wird sie fünfzig. Na und? Ihren Geburtstag hat Maurer noch nie gross gefeiert. «Es ist doch nur eine Zahl. Und ich fühle mich prächtig, bin voll im Saft!», sagt sie. Zwar benötige auch sie heute nach einem Lauf mehr Erholung als auch schon. Eigentlich aber, betont sie, brauche sie gar keine Wettkämpfe und Vergleiche mit anderen, um motiviert zu laufen.
In den sozialen Medien hat ihr mal einer geschrieben, sie sei «eine Motivation für viele junge Menschen». Das habe sie sehr gefreut und auch stolz gemacht. Aber ja: Sie sei der Beweis dafür, dass man auch jenseits der vierzig und bald auch jenseits der fünfzig fit sein und Spitzenleistungen erbringen könne. «Die Komfortzone zu verlassen, ist halt auch eine Willensangelegenheit », meint sie lakonisch.
Und ihre Träume? Ihr Fernziel sind weitere Marathonläufe, das möchte sie «bis ins hohe Alter» tun. Falls sie auch im Winter normal trainieren kann und von weiteren Verletzungen verschont bleibt, macht sie im Frühling eine Standortbestimmung. «Mich reizen Läufe, die ich noch nie bestritten habe.» Neue Eck- und Reizpunkte setzen, das ist ihr Ziel für 2025. Den ganzen Jungfraumarathon möchte sie dereinst bestreiten, und die Vorstellung, mal in Athen, inmitten der ganzen historischen Szenerie, zu laufen, sei schlicht überwältigend.
Und ja, auch mit dem Infernolauf hat Arlette Maurer noch eine kleine Rechnung offen, wiewohl sie dieses Jahr auf der Halbmarathonstrecke starke Vierte wurde, overall, versteht sich. Auf den 2500 Höhenmetern von Lauterbrunnen aufs Schilthorn stiess selbst sie gewaltig an ihre Grenzen. «Da kam ich ans Limit. Mir kamen die Tränen, als ich oben im Ziel war.» Schon da war ihr klar: Das will sie nochmals erleben, aber mit einem besseren Gefühl. Allein dafür schon lohnt sich das tägliche Laufen. Auch und erst recht mit fünfzig.