Mit spitzer Feder

Stefan Müller-Altermatt

In der Kantonsschule spotteten wir über unseren Geschichtslehrer wegen seiner «Nazi-Paranoia», wie wir es nannten. Damals, in den Neunzigern, mahnte er uns an, wir sollen Freiheit und Demokratie hochhalten und achtsam sein. Auf dass sich die Gräuel und Tragödien des ausgehenden Jahrhunderts niemals wiederholen können.

Für uns war klar, dass das Worte eines Mannes waren, der irgendwie hängen geblieben war. Schliesslich war der Faschismus längst kein Thema mehr und mittlerweile sogar der Kommunismus besiegt. Das Ende der Geschichte war erreicht, der Geschichtslehrer in den Augen von uns neunmalklugen Teenagern geradezu überflüssig geworden.

Dreissig Jahre später hat Wladimir Putin, ein gewaltbereiter, völkischer Diktator, mit seinem Angriffskrieg bereits über eine Million Menschen auf dem Gewissen. Eine Million Menschen! Das autoritäre China schickt sich an, das demokratische Taiwan zu überrennen. Aserbaidschan hat gerade wieder mal hunderttausend Armenier vertrieben. Die Präsidenten Ungarns, der Türkei und Serbiens tragen Stück für Stück ihre Demokratien ab.

Es wäre ein schönes Ende der Geschichte gewesen, damals in den befreiten Neunzigern. Wenn ich nun aber, am Vorabend der amerikanischen Wahlen, diese Zeilen schreibe, dann kann ich einfach nur noch hoffen, dass, wenn Sie diese Zeilen lesen, mindestens für Amerika mein Geschichtslehrer kein Orakel war.

Stefan Müller-Altermatt schreibt fast nie über Weltpolitik. Ausser, er macht sich echt Sorgen.