Mit spitzer Feder

Sara Liechti

Wer kennt das nicht? Ich bin beim Einkaufen, stehe beim Brot und eine Frau lächelt mich sympathisch an und sagt: «Hallo, wie gehts dir?» Mein Gehirn rattert und rattert. Mist, wer ist diese Frau? Nur nichts anmerken lassen! Lächeln und ein allgemeines «Danke gut, und dir?» formulieren, zuhören und so schnell wie möglich aus der Situation verschwinden, bevor noch mehr Fragen kommen.

Während des Einkaufens studiere ich weiter. War sie mit mir in der Schule? Nein. In der Mittelschule, der Berufsschule? Nein. Haben wir zusammen eine Weiterbildung gemacht? Nein. Haben wir zusammen gearbeitet? Nein. Waren wir zusammen in einem Verein? Nein – oder vielleicht? Waren wir zusammen im Schwangerschaftsturnen? Vielleicht. Im Rückbildungsturnen? Möglicherweise. Das sympathische Gesicht noch vor mir, ich gebe auf.

«Erinnerungsdiffusion» könnte man dieses Phänomen nennen, dieses ständige Grübeln über eine Person, die einem bekannt vorkommt, die man aber einfach nicht einordnen kann. Ich sage mir: Hätte sie keine Mütze getragen und ich dafür meine Brille, dann hätte ich das Rätsel sicher gelöst. Ach ja, nachfragen wäre auch eine legitime Lösung gewesen – aber in dem Moment einfach zu peinlich. Möglicherweise hat sie mich auch einfach verwechselt – und wenn ich ehrlich bin, hoffe ich fast ein bisschen, dass dem so war.

Vielleicht sollte ich diesen Vorfall einfach mit einem Augenzwinkern nehmen, anstatt weiter darüber nachzudenken. Des Rätsels Lösung wird es in diesem Fall wohl nie geben.