Christian Dietiker / Anzeiger Thal Gäu Olten
Christian «Che» Dietiker in der Galicia Bar Olten, wo er sich seit 12 Jahren um die Musik-Events kümmert. An der Wand eines seiner Idole: Jimi Hendrix.

Musik als roter Faden durchs Leben

Christian Dietiker erhielt bei der Kulturpreisverleihung der Stadt Olten eine Ehrengabe

Christian «Che» Dietiker hat Olten über Jahrzehnte musikalisch geprägt – als Plattenladenbesitzer, Konzertveranstalter und Kulturvermittler. Der 69-Jährige kennt die Szene wie kaum ein anderer und hat mit feinem Gespür Generationen musikalisch beeinflusst. Nun wurde sein stilles, aber nachhaltiges Wirken mit einer Ehrengabe der Stadt Olten gewürdigt.

Er war nie ein Mann für klassische Wege. Christian «Che» Dietiker brach die Kantonsschule Olten ab, versuchte sich später am Konservatorium in Bern, aber das akademische Korsett der Musiktheorie war ihm zu eng. «Ich wollte nicht nach Noten funktionieren, sondern mit anderen frei zusammenspielen», sagt er rückblickend. Seine musikalischen Vorlieben lagen damals jenseits des Mainstreams: Soul, Funk, Jazz, Rock und Blues – das war die Welt, in der er sich zu Hause fühlte. «Was mich berührt hat, kam selten aus den Charts.»

Ein schwerer Unfall an einer Musiksession bremste seine Ambitionen als Gitarrist. Die linke Hand wurde schwer verletzt, die eigene Musikerkarriere rückte nach einem weiteren Unfall in weite Ferne. Aber er wusste, dass er trotzdem «irgendetwas mit Musik machen» wollte. Dieses «Irgendetwas» wurde der rote Faden seines Lebens – und der Anfang einer langen Reise durch die Oltner Kulturszene.

Der Plattenladen als Schule
Alles begann mit vielen Nachmittagen im Kaufhaus Viktor Meier in der damaligen Musikabteilung Black Market. Dort war Dietiker Stammgast in der Schallplattenabteilung, stöberte durch das noch bescheidene Plattensortiment und brachte innovative Musikwünsche ein. Als die Abteilung geschlossen wurde, war für ihn klar: «Da fehlt jetzt etwas in der Stadt». Gemeinsam mit zwei Partnern – alle noch sehr jung – eröffnete er einen eigenen kleinen Plattenladen unter demselben Label «Black Market». «Wir haben uns einfach zusammengeschlossen und losgelegt.» Es war der Auftakt zu einer jahrzehntelangen Leidenschaft.

1978 baute er die Oltner Filiale der Kette Bro Records auf, zunächst als Geschäftsführer. Ab 1985 übernahm er den Laden und führte ihn unter eigenem Regime weiter. Der Laden wurde Kult: Mit über 20 000 Plattentiteln im Sortiment war er Treffpunkt für Musikliebhaber, DJs und Szenekennerinnen aus der ganzen Region. Dietiker habe den Leuten nicht einfach Musik verkauft, sondern sie ihnen gezeigt, sagt man bis heute. Er sagt: «Oft wusste ich, was jemand suchte, noch bevor er es aussprechen konnte.» Wenn man als Stammkunde den Laden betrat, hatte «Che» nicht selten bereits ein «Bigeli » Platten parat, die er extra nach dem Geschmack des Kunden oder der Kundin zusammengestellt hatte – ein ausserordentlicher Service, den viele schätzten. Sie erinnern sich an seine Empfehlungen – an Jazzplatten aus Japan, rare Funk- Singles oder soulige Entdeckungen. Bro Records war mehr als ein Geschäft: eine Schule für Musikverstand, ein Schaufenster zur Welt jenseits des Radios.

Schliessung ohne Wehmut
Doch mit dem Siegeszug der CD und später der digitalen Musik begann der Wandel. «Ich wollte nicht zuschauen, wie alles den Bach runtergeht, wollte lieber einen eleganten Abgang machen.»

Zuerst profitierte er noch vom Boom auf die CDs, aber bald mischten die grossen Ketten mit: «Media Markt zum Beispiel bot Chart-CDs als Lockangebote unter unserem Einkaufspreis an und hatte ein grosses Sortiment. So blieben uns Kleinen nur noch die spezielleren Alben, die nur in kleineren Stückzahlen über den Ladentisch gingen, als Einkommen.»

2007 schloss er schliesslich den Laden – ohne Schulden, ohne Wehmut, aber mit vielen Erinnerungen. Das Label «bromusic.ch» behielt er bei, als Plattform für das, was nun folgte: Konzerte, Kultur und kuratierte Nächte.

Vom Plattenladen zur Bühne
Dietiker war nie bloss Plattenverkäufer – er war immer auch Veranstalter. Erste Konzerte fanden im legendären Moonwalker Club in Aarburg statt, dann unter anderem Funk- und Soulabende im Oltner Dampfhammer, im Terminus, später dann Konzertreihen in der Schützi, der ehemaligen Turnhalle, die zum Kulturraum wurde. Che war nicht nur Veranstalter, sondern auch Gastgeber, Kurator und ein Soundmensch mit Instinkt.

Er denkt, wie er sagt, eher wie ein Musiker, denn wie ein Verkäufer. Ihm gehe es primär um Atmosphäre, nicht um Profit. Viele Acts, die heute auf grossen Bühnen stehen, traten in Olten zum ersten Mal dank ihm auf. Lokale Talente förderte er ebenso wie internationale Gäste. «Ich habe nie nur das grosse Ding gewollt. Lieber ein ehrliches Konzert für 80 Leute, das alle berührt.» Aber natürlich organisierte er auch Abende, die Hunderte von begeisterten Musikliebhabern und -liebhaberinnen anzogen. Dietikers Musikevents waren und sind legendär.

Auch in der Vario Bar und im umgebauten Hammer-Bahnhof führte er Veranstaltungen durch. Immer mit Gespür für die richtige Mischung und mit Respekt vor der Musik. In Olten wurde er so zu einer festen Grösse – nicht auf der Bühne, aber direkt davor.

Viel Herzblut im Galicia
Seit 2013 ist Dietiker das musikalische Herz der Galicia Bar, die der Schriftsteller Alex Capus übernommen hatte. Die Zusammenarbeit sei ein Glücksfall, sagt Che. «Er schreibt Bücher, ich mache den Sound. Wir vertrauen einander.» Dietiker organisiert dort das Musikprogramm – von Singer-Songwriter-Abenden über Blues-, Rock- und Funk-Gigs bis zu DJ-Nächten. Hinter der Bar steht er heute nur noch selten. «Ich bin 69 – aber wenn es eng wird, helfe ich schon noch», meint er schmunzelnd. Im Zentrum steht jedoch das Kuratieren der Konzerte: «Ich habe da grosse Freiheit. Es muss einfach gut sein.»

Die Galicia Bar hat unter seiner Handschrift ein klares Profil entwickelt: klein, intim, stilvoll – und mit musikalisch hohem Anspruch. Man buche, was passe, nicht, was Quote verspreche. Das Publikum in Olten merke das, sagt er, und schätze es. «Dieses Lokal ist keine Bühne für Stars, sondern für Musik, die berührt und gute Vibes verbreitet.»

Vermittler mit Gespür
Che Dietiker ist kein Selbstdarsteller, eher ein Mensch, der leise wirkt – aber nachhaltig. Als Musikvermittler hat er Generationen geprägt. Viele DJs aus den 1980er- und 90er-Jahren nennen ihn als Inspirationsquelle. In der Kulturzeitschrift «Kolt» teilte er unter «Che’s Bro Tipps» sein Wissen. Und wer ihn einmal beratend erlebte, weiss: Dieser Mann kennt Musik nicht nur, er lebt sie.

Er sagt von sich selbst, dass er schnell erkenne, welchen Sound jemand mag. Zuhören, ein paar Fragen stellen, etwas empfehlen – oft sei daraus etwas Neues entstanden. In einer Zeit, in der Algorithmen Musikvorschläge machen, war Dietiker ein analoger Algorithmus mit Seele.

Ehrung für sein Lebenswerk
Kürzlich erhielt Christian Dietiker im Rahmen der Kulturpreisverleihung der Stadt Olten eine Ehrengabe. Die Stadt würdigte damit seine jahrzehntelange stille, aber wirksame Arbeit als Kulturvermittler, Konzertveranstalter und musikalischer Wegweiser.

Nina Knapp, Geschäftsleiterin der Schützi Olten, beschrieb Che in ihrer Laudatio als jemanden, der Musik wie ein Sieb filtere: Er suchte damals aus dem riesigen Angebot nur die wirklich guten Songs aus allen möglichen Stilrichtungen heraus, damit seine Kundinnen und Kunden nur unter den Perlen auswählen mussten. «So wurde Che immer mehr zum wandelnden Musiklexikon – er wusste genau, welcher Produzent mitgewirkt hatte und welche Musikerinnen und Musiker in welcher Band gespielt hatten.»

Er selbst sagt, er habe das nie gemacht, um einen Preis zu kriegen – aber es freue ihn, dass es gesehen werde. Der ruhige Mann mit viel Tiefgang beschreibt, was ihn seit fünf Jahrzehnten eigentlich antreibt: «Wenn ein Abend gelingt, wenn Leute rausgehen mit einem Lächeln, einem neuen Song im Ohr – dann war es das wert.»

Text & Bild: ALA