Johanna Bartholdi / Anzeiger Thal Gäu Olten
Johanna Bartholdi, Gemeindepräsidentin von Egerkingen, vor dem ältesten Gebäude Egerkingens, der Alten Mühle: «Die schönen Momente überwogen bei weitem.»

«Die Katze lässt das Mausen nicht»

Sommerinterviews (III): Johanna Bartholdi, seit 2009 Gemeindepräsidentin von Egerkingen

So ganz werde die (alte) Katze das Mausen nicht lassen, verspricht Johanna Bartholdi mit Blick auf das eine oder andere Mandat, das sie behalten wird. Ende Juli aber endet die Amtszeit der 74-Jährigen als Gemeindepräsidentin von Egerkingen. Eine Zeit, in der sie nie ein Blatt vor den Mund genommen hat.

Nach 16 Jahren im Amt hören Sie Ende Juli auf. Was überwiegt: Das lachende oder das weinende Auge? Und warum?
Auf französisch sagt man «partir c’est toujours mourir un peu» und das entspricht meiner Gefühlswelt und dem weinenden Auge. Das lachende Auge freut sich auf die neuen Herausforderungen und Chancen im echten Unruhestand. Ich bin etwas wehmütig, aber mit Dankbarkeit und gleichzeitig Vorfreude.

Was werden Sie nach Ihrer Amtszeit am meisten vermissen?
Die speziellen Einladungen und Events, welche mit dem Amt verbunden sind, die Geburtstagsbesuche bei den ü80, wobei ich diese in diesem Jahr aus gesundheitlichen Gründen an meine Kolleginnen und Kollegen im Gemeinderat abgeben durfte. Aber auch der regelmässige Kontakt mit den Mitarbeitenden der Einwohnergemeinde Egerkingen und das fast tägliche Einarbeiten und Einlesen in neueThemen werden mir fehlen. Schwer vermissen werde ich das gesellige Zusammensein nach den interessanten Sitzungen der Gemeindepräsidentenkonferenz Gäu GPG.

Und was wird Ihnen überhaupt nicht fehlen?
Die Apéros riches. Ein Wienerli oder ein Cervelat wären mir manchmal lieber gewesen.

Wie hat sich «Ihr» Dorf in diesen 16 Jahren entwickelt?
Wie das gesamte Gäu hat sich Egerkingen in den letzten Jahren einwohnermässig enorm entwickelt. Der Anstieg zwischen 2009 und 2024 betrug im Bezirk Gäu rund 30 Prozent und in Egerkingen 36 Prozent (Kanton: 14 Prozent). Hinter diesen nackten Zahlen stehen viele Herausforderungen, beginnend bei der Belastung der Einwohnerkontrolle durch eine hohe Anzahl Mutationen, des Werkhofs, der Verwaltung allgemein, die wachsende Schülerzahl, die Zunahme des Verkehrs und der Lärmbelastung und dies bei steigenden «Fixkosten» pro Einwohner, welche nicht beeinflusst werden können. Die wirtschaftliche Entwicklung des Kantons Solothurn und der für den Kanton wichtigen Logistik-Branche werden zusehends zu einer einseitigen Belastung des Gäus. Der sich regende Unmut in der Bevölkerung ist nachvollziehbar und die Politik ist hier gefordert, zufriedenstellende Antworten zu finden. Will man den Wohlstand nicht abbauen, führt wohl kein Weg an einer finanziellen Entschädigung der betroffenen Gemeinden vorbei. Damit könnten Dienstleistungen für die Bevölkerung zur Steigerung der Lebensqualität geboten werden. Und mit dem nun auf dem Tisch liegenden Gesamtverkehrskonzept Olten-Gäu werden die Forderungen der Gemeinden, die Verkehrsprobleme in einer Gesamtsicht und nicht einfach nur punktuell zu lösen, erfüllt – jedoch leider um Jahre zu spät. Welche Begegnungen bleiben rückblickend am meisten haften? Die Spatenstiche und dann Einweihungen von neuen und sanierten Kommunalbauten: Werkhof, Spielplatz Zebra, Umgestaltung Martin-Strasse, Schwimmbad, ÖV-Drehscheibe, neues Schulhaus Mühlematt. Aber auch die Einladungen zu speziellen Anlässen wie zum Beispiel Betriebsbesichtigungen, Baustellenbesichtigung Belchen und vieles mehr.

Würden Sie rückblickend irgendetwas anders machen, was Entscheidungen und/ oder Amtsführung betrifft?
Ich bedaure, dass mit der Ortsplanungsrevision im Jahr 2014 relativ viele Grundstücke eingezont worden sind ohne restriktive Zonenvorschriften wie zum Beispiel Fassadenlänge. Wir wollten Wohnraum für junge Egerkingerinnen und Egerkinger schaffen. Praktisch an jeder Gemeinderatssitzung wurde der Wegzug von Jungen mangels Bauland beklagt. Einmal eingezont, wurden die Grundstücke jedoch nicht wie erhofft und geplant parzellenweise an Privatpersonen, sondern en bloc an Grossinvestoren verkauft, welche Mehrfamilienhäuser realisierten. Löbliche Ausnahme ist dabei das Gebiet Kleinfeld, wo zwischenzeitlich eine schmucke, moderne Einfamilienzone entstanden ist.

Ihr schönster Moment während der Amtszeit?
Die Genehmigung des Kredits für das neue Schulhaus im zweiten Anlauf. Grundsätzlich überwogen die schönen Momente bei weitem diejenigen, welche belastend waren.

Der grösste politische Erfolg?
In 16 Jahren keine Handvoll parteipolitischer Entscheide gefällt zu haben. Die Sachpolitik, der Konsens und das Wohlergehen der Gemeinde standen immer an vorderster Stelle. Als Erfolg darf auch die gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit im Gemeinderat, mit den Kommissionen und mit der Verwaltung, gewertet werden.

Der grösste Misserfolg im Amt?
Es waren Rückweisungen respektive sogar Nichteintretens-Beschlüsse der Gemeindeversammlungen zu – vermeintlich – gründlich vorbereiteten Geschäften. Aber wie gesagt, gefühlte Misserfolge gab es eindeutig weniger als gute Momente. Zudem stelle ich fest, dass oft das erstmalige oder sogar mehrmalige Nein der Gemeindeversammlung zu einem Geschäft schlussendlich zu besseren Resultaten geführt hat. Das Zitat «Das Volk hat immer Recht» hat eben wirklich seine Berechtigung.

Es gab bestimmt auch traurige Momente während Ihrer Amtszeit?
Anlässlich des Informationsanlasses der Gemeinde und des Kantons kurz vor der Adventszeit im Jahr 2012 zur geplanten Nutzung der ehemaligen Klinik Fridau als Asylzentrum. An diesem Abend wurde überwiegend populistisch und mit den bekannten Klischees diskutiert. Einige dieser Voten stimmten mich traurig und nachdenklich. Ich bin heute noch dankbar für die Intervention eines Teilnehmers, der auf die Weihnachtsgeschichte hinwies, als Maria und Josef keinen Unterschlupf fanden. Im Nachhinein haben sich alle geäusserten Befürchtungen und Belästigungen durch ein Asylzentrum bei weitem nicht erfüllt.

Ist nun ab August ganz Schluss mit Politik und Ämtern?
Nicht ganz, das eine oder andere Mandat behalte ich, ich habe mich auch beim Projekt «Senioren im Klassenzimmer» angemeldet. Die (alte) Katze lässt das Mausen nicht. Ich werde sicherlich ein politischer Mensch bleiben, werde mich aber hüten, mich in die Gemeindepolitik aktiv einzumischen.

Gibt es einen Rat, den Sie Ihrem Nachfolger in Egerkingen mit auf den Weg geben?
Es war bereits der Rat meines Vorgängers an mich: «Du musst nicht alles sehen, du musst nicht alles hören und vor allem musst du nicht zu allem etwas sagen».