Mit spitzer Feder

Tanja Baumberger

Es scheint, als müsse heute alles laut sein. Bum-Bum, Dauerbeat, Oktoberfeststimmung – als gäbe es ohne Bierbank und Taktgeschrei keine Gemeinschaft. Berlin in den Zwanzigern kommt mir in den Sinn, wenn ich unsere Gesellschaft betrachte: Damals wie heute rauscht und glänzt es, überall Ablenkung, überall Spektakel. Die Welt steht Kopf, und der Mensch tanzt weiter, grell und schrill – als wolle er das eigene Innenleben übertönen.

Kürzlich war ich bei einem Anlass, der eigentlich zum Innehalten gedacht war. Die Halle war voll, gegessen und getrunken wurde reichlich, die Gespräche schwollen an wie ein Summton. Unser Kulturprogramm? Es lief – doch kaum einer hörte hin. Kein Vorwurf, nur eine Beobachtung: Haben wir verlernt, still zu sein? Einfach zu lauschen, ohne sofort die nächste Ablenkung zu suchen? Je lauter es draussen wird, desto deutlicher spüre ich meine Sehnsucht nach dem Leisen, dem Feinen, dem Echten. Nach Momenten, in denen nicht der Paukenschlag zählt, sondern der Zwischenton.

Mit 55 weiss ich: Zwei Drittel meines Lebens sind wohl gelebt. Was bleibt, will ich bewusst nutzen. Klar sagen, was mir wichtig ist. Schweigen, wo nichts zu holen ist. Gestalten, wo Tiefe möglich scheint. Ich wünsche mir Räume, in denen Kultur nicht bloss Hintergrundrauschen ist. Wo man sich nicht betäuben muss, um dabei zu sein. Sondern wo man sich traut, einfach zu sitzen – mit sich, mit anderen, mit dem, was wirklich trägt. Mit den eigenen Gedanken, wer die noch hat und es noch kann!?