Mit spitzer Feder

Sara Liechti

Neulich beim Einkaufen: eine ganz normale Familie – Mutter, Vater, zwei Teenager. Alles unspektakulär, bis mein Blick auf die Hände des Vaters fiel. Aufgeklebte, lange, rot lackierte Fingernägel. Glänzend, perfekt gefeilt. Und der Mann selbst? Stark und kräftig – eher Typ Handwerker.

Ich gebe zu: Mein erster Impuls war Staunen. Dann ein kurzer Gedanke an Nemo – und ein zweiter Blick, um sicherzugehen, dass ich mich nicht täusche. Für mich Landei war es einfach ungewohnt.

Während ich weiterging, kreisten meine Gedanken. Vielleicht ist das ein neuer Trend, vielleicht ein persönliches Statement. Vielleicht trägt er die Nägel draussen rot und zuhause noch lieber ein Kleid. Vielleicht liebt ihn seine Frau genau so und die Kinder finden es ganz normal – auch wenn sie in der Schule wohl den einen oder anderen Spruch hören.

Ich halte mich für tolerant, wirklich. Trotzdem merkte ich, wie sehr mich der Anblick irritierte. Weil er nicht in mein gewohntes Bild passte. Gleichzeitig bewunderte ich, dass ers einfach tut. Denn wie anstrengend muss es sein, das eigene Ich verstecken zu müssen?

«Leben und leben lassen» – das ist leicht gesagt, aber manchmal gar nicht so einfach gelebt. Vielleicht ist Nagellack an Männerhand gar kein Aufreger, sondern nur ein Zeichen, dass die Welt bunter wird. Und trotzdem – ganz ehrlich – bin ich froh, wenn es bei uns zuhause nur meine Töchter sind, die meinen Nagellack klauen.