Wenn man mit Doris Albani durch ihre Brockenstube in Balsthal geht, spürt man rasch, dass es hier nicht nur um Gegenstände geht. Es geht um Erinnerungen, Begegnungen und den Mut, einmal gefasste Träume gegen alle Zweifel doch noch umzusetzen. «Ich wusste seit 1984, dass ich eines Tages eine Brocki eröffnen möchte», sagt sie. Dass 34 Jahre vergehen würden, bis es so weit war, ahnte sie nicht.
«Als wir damals über einer Brocki wohnten, hat mich diese Atmosphäre tief beeindruckt », erinnert sich Doris Albani. Der Gedanke blieb lange in ihr, geriet beinahe in Vergessenheit und kehrte erst wieder zurück, als sie mit dem Nachlass eines verstorbenen Menschen konfrontiert wurde. «Ich wollte diese schönen Sachen wieder unter die Menschen bringen und suchte dafür ein Lokal.» So mietete sie in Balsthal eine leerstehende Garage – zunächst nur, um die Gegenstände zu verkaufen und danach wieder zu schliessen. Sie strich die Wände, stellte Regale auf, ordnete alles sorgfältig ein und legte ein Datum fest: 24. Juli 2018.
Am ersten Tag sei die Unsicherheit gross gewesen. «Ich konnte mir nicht vorstellen, dass überhaupt jemand hereinkommen würde.» Doch die Leute kamen, schauten, fragten, erkundigten sich. Als am Mittag 45 Franken in der Kasse lagen, konnte sie es «fast nicht glauben» und die Geschichte von Doris’ Brocki nahm ihren Anfang.
Mit der Zeit brachten die Leute immer mehr Dinge vorbei, bald wurde der erste Raum zu klein. Ein zweiter kam hinzu, liebevoll «Affenkasten» genannt. So wuchs der Laden stetig, heute umfasst die Brocki rund 550 Quadratmeter, verteilt auf 13 Räume und geordnet in 16 Themenabteilungen. Häufig gesuchte Artikel liegen im Erdgeschoss, speziellere Fundstücke weiter oben. Doris Albani legt viel Wert auf Qualität: Teller müssen unversehrt sein, Gläser klar, Kleidung sauber und in gutem Zustand. «Hinter jedem Stück steht einMensch, der es einmal ausgesucht hat. Das soll man spüren, wenn man hier durchgeht.»
Ein Ort der Nähe
Viele Menschen kommen auch nur auf einen kurzen Schwatz vorbei, um ein paar Worte zu wechseln, für ein Lächeln oder einfach einen Moment der Ruhe. «Ich begrüsse jeden mit einem ‹Hallo lieber Schatz› – und ich meine das so.» Manchmal entstehen kleine, beiläufige Dialoge, manchmal auch tiefe Gespräche. Es gibt Tage, an denen jemand Freude teilt, aber es gibt natürlich auch Momente, an denen Abschied oder Traurigkeit spürbar werden. Besonders eindrücklich war die Zeit, als Jonni, der Brocki-Hund, starb. Er gehörte für Kundinnen und Kunden einfach dazu, wurde oft angesprochen und gestreichelt. «Als Jonni starb, sind bei vielen Tränen geflossen – auch bei mir», sagt Doris Albani leise. «Er fehlt.» Solche Momente haben ihr gezeigt, wie eng dieser Ort mit den Menschen verbunden ist, die ihn besuchen. Und wie spürbar es ist, dass dieser Ort weit über das reine Weitergeben von Gegenständen hinausgeht. Früher sei sie schüchtern gewesen, sagt sie. Heute freue sie sich auf Gespräche, Begegnungen und die manchmal überraschende Nähe, die entsteht – leise, ohne Ankündigung.
Alltag und Rhythmus
Sie beginnt ihren Tag früh, meistens gegen halb acht. Die ruhige Zeit davor gehört noch ihr allein. Geöffnet ist von Montag bis Samstag jeweils von neun bis elf Uhr. Seit Anfang Jahr kommt am Freitag ein Abendverkauf von 16.30 bis 19.30 Uhr dazu, der sich sehr grosser Beliebtheit erfreut. Nachmittags wird jeweils sortiert, gereinigt und vorbereitet. Ferien kenne sie nicht: «Seit dem Tag der Eröffnung arbeite ich jeden Tag, auch sonntags.» Angestellte hat die unermüdliche Frau keine, hie und da helfen ihr Mann und die Tochter aus, aber sicher 85 Prozent der Arbeit mache sie alleine. Dennoch bezeichnet Doris Albani das, was sie tut, als den schönsten Beruf der Welt.
Geschichten, die bleiben
Nebst dem Alltag haben sich über die Jahre auch besondere Szenen und Geschichten ergeben, die sie nicht vergisst. So bat einmal ein Mann darum, seiner Partnerin in der Brocki einen Heiratsantrag machen zu dürfen, weil sie diesen Ort so liebe. Doris bereitete an einem geschlossenen Nachmittag einen kleinen Tisch im Obergeschoss vor, schlicht und schön. Nach dem speziellen Antrag kamen die beiden glücklich wieder herunter, lächelten und er sagte nur: «Sie hat Ja gesagt.»
Eine andere Geschichte begann mit einer Hausräumung. Dabei tauchten alte Fotoalben auf, jedes Bild beschriftet. Sie erzählten vom Leben eines Balsthalers, der 1913 nach Chile ausgewandert war und dort bis 1932 Dieselmotoren montierte. Rund 1200 Fotografien aus dieser Zeit dokumentieren sein Leben. Die Sammlung wurde von einem Hobbyarchäologen entdeckt, weitergetragen und findet nun in Chile Eingang in eine Ausstellung im staatlichen Museum. Doris Albani wünscht sich, dass dieses Kapitel bald auch in Balsthal einmal gezeigt wird – als Teil der eigenen Geschichte.
Wer glaubt, die Brocki sei nun fertig gewachsen, irrt. Sie hat Pläne: «Das dritte Geschoss steht noch leer». Sie möchte es ausbauen und dem Laden ein weiteres Kapitel schenken. Was einst als provisorischer Verkaufsraum gedacht war, ist längst zu einer Lebensaufgabe geworden – getragen von Mut, Offenheit und der Überzeugung, dass Dinge wie auch Menschen eine zweite Chance verdienen.
