Gedenkstaette für Heim- und Verdingkinder in Muemliswil / Anzeiger Thal Gäu Olten
Der Historiker Thomas Huonker stiess in verschiedenen Schweizer Archiven und Bibliotheken auf einzigartige Fotografien, die das Leben der Kinder und Jugendlichen dokumentieren. Sie sind in der Daueraustellung der Gedenkstätte in Mümliswil zu sehen.

Ein Ort der Erinnerung feiert Jubiläum

Die Gedenkstätte für Heim- und Verdingkinder in Mümliswil wurde vor zehn Jahren eröffnet

Begegnungszentrum, Ausstellungsort und Informationsplattform – das ist die erste nationale Gedenkstätte für Heim- und Verdingkinder in Mümliswil. Sie ist in einem ehemaligen Kinderheim untergebracht und wurde 2013 von der Guido Fluri Stiftung eröffnet. Nach Ausbruch des Ukraine-Kriegs beherbergte sie temporär Familien auf der Flucht. Nun ist sie wieder geöffnet und feierte Anfang Juni ihr 10-jähriges Bestehen.

Bis 1981 haben die Schweizer Behörden zehntausende Kinder und Jugendliche von ihren Familien getrennt. Sie wurden als Arbeitskräfte auf Bauernhöfe verdingt, in Heime und geschlossene Einrichtungen gebracht. In der Schweiz leben Tausende Opfer solcher Massnahmen. Die erste nationale Gedenkstätte für Heimund Verdingkinder in Mümliswil ist diesen Kindern und der Aufarbeitung ihrer Geschichte gewidmet. Sie wurde am 1. Juni 2013 eröffnet und war der schweizweit erste Ort, der an dieses dunkle Kapitel der Schweizer Sozialgeschichte erinnerte. Indem die Gedenkstätte mit der wissenschaftlich fundierten Ausstellung die Öffentlichkeit sensibilisierte und vor allem auch Betroffene vereinte, leistete sie Pionierarbeit für die Aufarbeitung der Geschichte der Heim- und Verdingkinder in der Schweiz und markierte den Startschuss zur geschichtsträchtigen Wiedergutmachungsinitiative.

Ein Ort der Erinnerung und des Austausches
Das Kinderheim Mümliswil war von 1939 bis 1973 in Betrieb. Das Haus wurde danach unter der Führung des Coop Frauenbundes in ein «Bildungs- und Ferienheim» umgewandelt. Um 2000 gab der Frauenbund das Haus auf und schrieb es zum Verkauf aus. Verschiedene Projekte wurden diskutiert, aber nicht umgesetzt. 2011 konnte die Guido Fluri Stiftung das Haus kaufen. Die Stiftung renovierte das Gebäude sanft und baute es zur ersten nationalen Gedenkstätte für Heim- und Verdingkinder um.

In der Gegend aufgewachsen, gehörte Guido Fluri zu den letzten Kindern, die Anfang der 1970er-Jahre im Mümliswiler Heim untergebracht waren. 2010 gründete er die Guido Fluri Stiftung. Einer der inhaltlichen Schwerpunkte der Stiftung ist es, Gewalt an Kindern zu verhindern und die Öffentlichkeit dafür zu sensibilisieren.

Gedenkstaette für Heim- und Verdingkinder in Muemliswil / Anzeiger Thal Gäu Olten
2011 kaufte die Guido Fluri Stiftung das Gebäude.


«Es ist mir ein grosses Anliegen, dass die Geschichte der Heim- und Verdingkinder nicht in Vergessenheit gerät. Die Gedenkstätte soll ein Ort der Begegnung, des Austausches, der Erinnerung, aber auch der Hoffnung sein. Wir alle können dazu beitragen, dass die Kinder von heute in Geborgenheit und Sicherheit aufwachsen dürfen und sich dieses dunkle Kapitel der Schweizer Geschichte nicht wiederholt», sagt Initiator Guido Fluri.

Geschichte erleben
In der Gedenkstätte erwartet die Besucherinnen und Besucher eine sorgfältig kuratierte Ausstellung, eine grosse Bibliothek und ein Videoraum mit verschiedenen Filmen. Schülerinnen und Schüler, Auszubildende oder private Interessierte können hier in originaler Umgebung mehr über den Alltag und die Geschichte der Heim- und Verdingkinder in der Schweiz erfahren. So sind die 28 Kinderzimmer gut erhalten und zu grossen Teilen mit originalen Möbeln ausgestattet.


Die Dauerausstellung macht die Lebenswelt der Heim- und Verdingkinder anhand persönlicher Erfahrungsberichte, Fotografien und Interviews sicht- und erlebbar. Die Ausstellung in der Gedenkstätte in Mümliswil basiert auf der wissenschaftlichen Recherche des Historikers Thomas Huonker. Es gehört zu den Kernanliegen der Guido Fluri Stiftung, dass dieses Wissen auch den jüngeren Generationen zugänglich bleibt.

Besuche auf Voranmeldung
Nach Ausbruch des Krieges gegen die Ukraine funktionierte die Guido Fluri Stiftung das Kinderheim 2022 kurzerhand um und beherbergte vorübergehend 50 Menschen aus der Ukraine. Sie fanden inzwischen eine eigene Unterkunft oder kehrten zurück. Seit Anfang April ist die Gedenkstätte wieder für Besuche geöffnet. Diese sind auf Voranmeldung kostenlos möglich. Auf Wunsch werden ebenfalls Führungen angeboten.

Die Gedenkstätte im Guldental ist ein beliebtes Ziel für Schul- und Weiterbildungsreisen. So haben sie bereits zahlreiche Schulen und weitere Bildungsinstitutionen besucht. Soziale Institutionen, Opferorganisationen und weitere im sozialen Umfeld tätige Unternehmen haben in der Gedenkstätte Retraiten und Workshops durchgeführt. Auch zahlreiche Betroffene besuchten diesen Ort der Erinnerung.

Alle Infos: gedenkstaette-muemliswil.ch

Text: MGT & Bilder: ZVG