Mit spitzer Feder

Martina Flück

Sie sammelte Kerzen. Kerzen mit allerlei Verzierungen, in unterschiedlichen Farben und Formen: Runde Kerzen, eckige, lange, kurze, solche, die aussahen wie Tannen, Sonnenblumen oder Pyramiden. Sie verstaute sie feinsäuberlich in ihrer Kerzenschublade. Ab und zu öffnete sie die Schublade, betrachtete ihre Sammlung, stellte sich vor, wie es wohl wäre, wenn sie die Kerzen entzünden würde. Wie schön es wohl aussehen würde: So viel Licht und Leuchten und Wärme und Strahlen. Zuviel des Guten. Sie schloss die Schublade wieder.

Profane Rechaudkerzen waren die einzigen, die sie ohne Sorgen entzünden konnte. Und genau eine solche Kerze war es, die ihr in einer dunklen Novembernacht ein Lichtlein aufgehen liess. Was nützten denn all die Kerzen in ihrer Schublade? Wo niemand sie sah? Wo sie keinem dienten? Sie stürmte zur Schublade, riss sie auf und verteilte jede ihrer hübschen Kerzen auf Unterteller, steckte sie in Tannengrün oder hohe Gläser. Pünktlich zum ersten Advent glich ihre Wohnung einer Kerzenausstellung. Sie staunte, denn sie wusste gar nicht mehr, wie viele Kerzen sie besass. Welch beglückender Anblick.

Sie war bereit, die erste Kerze ihrer wahren Bestimmung zuzuführen. Tief atmete sie ein, entzündete ein Streichholz und liess die Flamme feierlich auf die erste Kerze gleiten. Ein kurzes Flackern, der Docht entflammte, erweichte das Wachs und liess die Flamme grösser werden. Das Leuchten war wundervoll.

Danke Winter-Wunderland Laupersdorf für die Inspiration und allen Menschen, die ihre Kerzen entzünden und so Licht und Leuchten in die Welt bringen.