Der Oltner Karikaturist und Cartoonist Werner Nydegger ist auch Grafiker, Illustrator, Maler, Restaurator, Designer, Autor – und neuerdings auch Buchbinder. Seine aktuellste Werkschau, ein Überblick über sein gesamtes Schaffen, gibts nicht auf Papier, sondern im Internet. Neues zeichnen will er nicht mehr. «Ich könnte mich nur noch wiederholen.»
Zu Feiern und Festen hat Werner Nydegger ein ungewöhnliches Verhältnis. Ob Geburtstage – auch den eigenen – Weihnachten, Vernissagen. All dies ist sein Ding nicht. Und so dürfte er seinen Achtzigsten, der in diesen Tagen wohl oder übel bei ihm anklopft, draussen vor der Tür im Oltner Schöngrundquartier stehen lassen. Dort, wo er keinerlei Grenzen zieht zwischen Privatem und Beruflichem, weder räumlich noch zeitlich. Atelier und Wohnhaus mit Ausstellungsräumen sind eine Einheit. Dort arbeitet er, vor allem. Und schaut – oder hört – täglich während der Arbeit mehrere Spielfilme und Dokus. Kann sein, dass der Rastlose ab und zu auch ein paar Stunden schläft.
Er fühlt sich mitnichten wie ein 80-Jähriger. Selbst wenn es ihn, regelmässige Spaziergänge in der Natur zum Trotz, da und dort zwickt. Sondern, selbstredend für den genialen Kopf, schlicht «alterslos ». Vor allem aber: durch und durch als Misanthrop. Als einer, der Menschen, die Menschheit als Ganzes, nicht ernst nehmen kann. Dies sei wohl der Tatsache geschuldet, erklärt er, dass er während der Jahrzehnte des Karikierens zu lange zu tief in das menschliche Dasein geblickt habe. Der Mensch werde sich nie ändern, sagt Nydegger. «Er wiederholt sich und seine Geschichte nur noch.»
Diese Denkweise ist die perfekte Voraussetzung dafür, um die Spezies Mensch so einmalig entlarvend wiederzugeben, wie nur der Einzelgänger Nydegger in seiner grenzenlosen Kreativität dies tun kann.
Publikationen in mehr als 20 Ländern
Schon während der fünfjährigen Ausbildung in der Grafikfachklasse der Kunstgewerbeschule Basel hatte er sich grenzenlos gelangweilt, weil er alles besser und schneller kapierte als der Rest. Schule war nie sein Ding. Deshalb hat er noch während der Schulzeit die ersten Aufträge entgegengenommen. Der erste Kunde habe ihn gefragt, ob er auch Industrial Design mache. «Aber sicher doch», hat er geantwortet – um später nachzuschauen, um was es sich dabei genau handelt. «Ich kam frisch ab der Gewerbeschule und habe es einfach getan.» Mit 23 gründete Werner Nydegger in Olten sein Atelier für Grafik, Werbung, PR und Produktegestaltung.
Rund 2000 Cartoons, Karikaturen und Illustrationen sind seither entstanden. Seinen ersten Cartoon veröffentlichte 1971 die «Weltwoche», in der Folge erschienen seine Werke auch in der «Bilanz » und in der «Schweizer Illustrierten », aber auch im Ausland, im «Stern» etwa, dem «Spiegel» oder im «Playboy». Porträts und Karikaturen diverser musikalischer Grössen wie Frank Zappa, Pink Floyd oder Klaus Doldinger erschienen in der «Music Scene». In mehr als zwanzig Ländern wurden des jungen Meisters Arbeiten publiziert. Daneben schuf er unzählige Poster, die längst legendären «Wimmelbilder» für Firmen und mehrere Cartoon- und Comicbücher.
Was mal war, interessiert ihn nicht
Die Vergangenheit? Kümmert ihn nicht wirklich. «Dinge, die ich gemacht habe, interessieren mich nicht mehr», hat er mal gesagt. Schliesslich weiss er danach ja, wie sie funktionieren, und der Perfektionist findet den Weg tausend Mal spannender als das Resultat. 1997 verlagerte er sein Schaffen auf Gross-Skulpturen, Kunst am Bau, Plastiken, Möbel, Lichtskulpturen und dreidimensionale Cartoons. Viele dieser Objekte gelangten gar nicht erst in den Verkauf, sie entstanden auch nicht mit dem Ziel, sie serienmässig vermarkten zu wollen. Der schöpferische Geist will Neues erlernen, immer und immer wieder. Und sein Können dann perfektionieren. Schon als kleiner Junge, erzählt er, habe er sich im Zimmer eingeschlossen. Er lebte in seiner eigenen Welt, bastelte und hat «meine Sachen» gemacht. Er grinst. «Ich habe damals eigentlich schon das Gleiche gemacht wie jetzt.» Schon klar: Um Erfüllung zu finden, braucht einer wie er keine anderen Menschen um sich herum.
Vor etwas mehr als zehn Jahren begann Nydegger, all die absurden gesellschaftlichen Situationen und Geschichten, die ihm bis dato Stoff lieferten für seine Cartoons, literarisch darzustellen. Dabei entstanden 27 Kurzgeschichten, die er im Buch «Turmfrisuren im Affentheater» veröffentlichte und auch ein 250-seitiger Satireroman, «Willi Barth». Eine «hanebüchene, himmeltraurige, herzergreifende Liebeshorror-Geschichte», wie er den Roman beschreibt.
Andere Menschen um sich herum braucht er nicht
Exakt 50 Jahre nach der Publikation seines ersten Cartoons erschien 2021 der grosse Band «Werner Nydegger – Cartoons und Karikaturen». Weshalb dieser Querschnitt durch sein Schaffen, wo er sich doch aus Vergangenem nichts macht? Es werde immer mal wieder nach seinen alten Cartoon- und Karikaturbüchern gefragt, die seien aber allesamt vergriffen, erklärt er. Und fügt schmunzelnd hinzu, über die Jahrzehnte hätten seine Bilder nichts an ihrer Aktualität eingebüsst. Wohl wahr.
Zwei Jahre später realisierte er eine Künstleredition, als Sonderausgabe. Genau zehn Bücher stellte Nydegger her, und dies von A bis Z: Nebst seinem üppig vorhandenen geistigen Eigentum mit all den Postern, Cartoons oder Illustrationen steuerte er auch die Texte bei und hat die Seiten gelayoutet. Damit nicht genug: Er hat die Seiten auch selbst gedruckt – und das Werk persönlich gebunden. 1500 Franken hat er pro Exemplar verlangt, jeweils in werthaltiger Kassette verstaut und mit originaler Tuschzeichnung von ihm signiert. Längst ist diese Sonderausgabe vergriffen. Es folgte eine weitere Sonderausgabe in einer limitierten und signierten Auflage von 20 Exemplaren: «Poster, Wimmelbilder, Cartoons und Karikaturen», 348 Seiten, ebenfalls für 1500 Franken. Davon gibt es nur noch wenige.
«Das Buchbinden habe ich mir in zwei Wochen selbst beigebracht», sagt er ohne Rührung. «Wenn mich etwas interessiert, dann arbeite ich fast Tag und Nacht daran und probiere aus, bis ich es kann.» Und dies mit Arbeitszeiten, die verboten wären. Auf diese Weise hat er sich Zeit seines Lebens ein enormes Wissen angeeignet. Wochenenden? Fehlanzeige. Ferien? Interessieren ihn nicht.
Die Werkschau in ganz anderer Form
Gar nicht erst zu Papier gebracht hat Werner Nydegger sein aktuellstes Werk mit dem vielsagenden Titel: «Ein letztes Interview – Rückblick auf ein konsequentes Leben.» Das Buch, das sämtliche Genres beinhaltet, denen er sich in acht Jahrzehnten zugewandt hat und das als Ergänzung zum Jubiläumsbuch gedacht ist, gibts ausschliesslich auf seiner Website zu betrachten und zu lesen – kostenlos also. Eine Werkschau der anderen Art, dessen roter Faden ein praktisch über die ganzen knapp 180 Seiten geführtes Interview mit Nydegger ist. Speziell daran: Die Antworten von ihm sind unverkennbar original, das Gespräch geführt hat indes nicht Dr. James B. Oppenheimer, wie zu Beginn prominent deklariert, sondern seine langjährige Partnerin Isabelle Bitterli.
Dass er sein geniales Schaffen kostenlos ins Netz stellt, stimmt für Werner Nydegger. Wenn er gefragt wird, was er denn eigentlich den lieben langen Tag so macht, kann er nun auf seine Website verweisen, die aussieht wie der Katalog einer Kunstmanufaktur.
Seine derzeit letzte grosse Arbeit ist just dies: gross und schwer. Sie beinhaltet ja auch nicht weniger als das Beste aus 70 Jahren seines Schaffens. «DAS WERK» ist im Grossformat, umfasst 1400 Seiten, wiegt 12 Kilogramm und ist sehr teuer. «Ein absurd grosses Buch», wie er meint, und das passt ausgezeichnet zum Inhalt: der gezeichneten Absurdität des menschlichen Daseins.
In seinem persönlichen Buch des Lebens will er keine neuen Kapitel mehr schreiben. Werner Nydegger ist mit seinem Leben und der Welt im Reinen. Mit seiner Welt zumindest.
