Rhaban Straumann / Anzeiger Thal Gäu Olten

Die neue Gelassenheit des Rhaban Straumann

Der Oltner Schauspieler, Satiriker und Autor verlegt seinen Lebensmittelpunkt nach Leipzig

Im März hat man ihm, wie zig anderen Kulturschaffenden hierzulande auch, den Stecker gezogen. Existenzängste machten sich breit. Dass Rhaban Straumann seinen Lebensmittelpunkt Anfang Jahr nach Leipzig verlegt hat, macht sein Leben und Schaffen nicht minder kompliziert. Und doch sagt der Oltner heute: «Mir geht es sehr gut.» Wie bitte?

An die zwanzig Mal wären sie allein im März auf der Bühne gestanden, Rhaban Straumann und Matthias Kunz. Als Strohmann-Kauz und in ihrer Rolle als die zwei kauzigen Alten, Ruedi und Heinz, waren sie die Überflieger der Theaterkabarett-Szene. Dann zog man ihnen, staatlich verordnet, den Stecker. Coronapause. Aus. Ein Aus mit Ansage, prophezeiten die beiden doch schon bei der Anmoderation ihres Formates «Palaver» am 12. März im Theaterstudio Olten, dass dies «der letzte Auftritt für uns und der letzte Ausgang für euch für eine längere Zeit» sein könnte. Als der Bundesrat tags darauf den Lockdown tatsächlich verkündete, habe er dies als «absurd» empfunden, sagt Straumann. «Da war eine Mischung zwischen Wehmut und Erleichterung.» Letztere deshalb, weil sie es in den Tagen zuvor schon als beklemmend empfunden hatten, zu spielen. «Wir traten in einem engen Raum auf, im Publikum wurde sehr oft gehustet. Also waren wir selber an einem Punkt angelangt, an dem wir merkten: uns ist nicht mehr wohl.» Der Lockdown nahm ihnen den Entscheid ab.

Das Aus zog den beiden nicht nur die Bühne unter den Füssen weg, es warf sie aus der Bahn. «Das tat körperlich weh und hat schlicht Angst gemacht.»

Sich einfach treiben lassen
Und heute, ein knappes halbes Jahr und keine Handvoll Liveauftritte später? Da antwortet der Schauspieler, Autor und Satiriker auf die Frage, wie es ihm gehe, mit einem «sehr gut». Sehr gut? Noch im April bezeichnete er die berufliche Ausgangslage öffentlich als «Desaster». Er lächelt. Diese Wortwahl könne er auch aus heutiger Sicht noch unterschreiben, sagt er. Bloss: Seine Haltung zur ganzen Situation hat sich geändert. Vor fünf, sechs Wochen habe er für sich selber bewusst entschieden, sich treiben zu lassen, sich von der relativen beruflichen Perspektivlosigkeit nicht unter Druck und schon gar nicht erst wahnsinnig machen zu lassen. «Ein guter Entscheid», sagt der 48-Jährige, «er hat mich enorm entspannt werden lassen.» Irgendwie, ist er jetzt überzeugt, wird es schon weitergehen.

Zur neuen Gelassenheit des Rhaban Straumann massgeblich beigetragen hat auch die Liebe. Seinen Lebensmittelpunkt hat er Anfang Jahr von Olten nach Leipzig verlegt, wo seine neue Partnerin, Schauspielerin und Kabarettistin Elisabeth Hart, zuhause ist. Zwar dauert die siebenstündige Zugfahrt für seinen Geschmack jedes einzelne Mal ein paar Stunden zu lange, doch die letzten Monate haben geholfen, Vergangenes zu verarbeiten und Neues mit viel Lust zu entdecken. Ereignisse und Begegnungen hätten sich kumuliert, sagt Straumann. «Vieles in mir hat gegärt.»

Die Schreiblaune und der Award
Die neue Freiheit hat den akuten Schreibstau vom Frühling verfliegen las sen, aktuell verfasst er ein Lesestück für zwei, welches er gemeinsam mit seiner Partnerin auf die Bühne tragen möchte. «Wollen Sie wippen?» heisst sein Werk, welches kaum Ausrüstung und Technik benötigt und deshalb überall gespielt werden kann. Zu kaufen aus seiner Feder ist auch ein im Frühling erschienener Essayband (siehe Kasten). Das neue Stück spielt auf einem Spielplatz, es geht mitunter um die Frage, wie man sich verhält, wenn der Nachbar ein Nazi ist. Oder nur ein Verschwörungstheoretiker? Dazu inspiriert hat ihn die eine oder andere reale Begegnung und die Erkenntnis: Mit denen kannst du nicht diskutieren. «Ich schreibe jetzt anders, direkter sicherlich, über solche Begegnungen», sagt Straumann. Er formt das Stück bühnentauglich, aber auch so, dass man es dereinst in Buchform wird kaufen können. Also keine Lesungen mehr via Livestream, wie er das im Lockdown mal getan hat? Er schüttelt den Kopf. Eine «nette Erfah rung» wars, der Not gehorchend, mehr nicht. «Ich will das Publikum spüren, seine Energie, die abhängig ist von Raum, Tag und Stimmung. All das geht nicht via Internet.» Das Schauspielern steht für den Vielseitigen noch immer ganz zuoberst.

Umso mehr waren Matthias Kunz und er «riesig überrascht und erfreut» über die Nomination zum Swiss Comedy Award für ihr Stück «Sitzläder» (siehe Text unten). Allein schon die Nomination sei für sie beide ein grosses Stück Anerkennung, sagt Straumann. Seit zwei Jahrzehnten ist er auf den hiesigen Bühnen unterwegs, seit 14 Jahren gemeinsam mit seinem Partner. Er schätzt es, dass bei der Nomination für den Award der Begriff «Comedy» breit gefasst wurde, dass hierzulande nicht in engen Schubladen gedacht wird.

Rhaban Straumann 2 / Anzeiger Thal Gäu Olten
«Es ist natürlich mit Leipzig alles ein bisschen komplizierter geworden»: Rhaban Straumann.


Alles ein wenig komplizierter
Rhaban Straumann ist viel unterwegs und kann sich gut vorstellen, künftig mehr in Deutschland zu spielen – mit seiner Partnerin, aber auch mit Matthias Kunz. Mit Elisabeth Hart hat er zur Überbrückung, während des Lockdowns, Kurzfilme gedreht. Die Zusammenarbeit sei mitnichten unkritisch, aber sie passten auch bezüglich Arbeitsweise prima zusammen, sagt er. «Sie denkt sehr schnell. Und ich bringe das Ganze dann auf Papier.» All dies heisst aber auch: Es wird 2021, nach rund 140 Vorstellungen im vorletzten und deren 120 im letzten Jahr, zwangsläufig weniger Strohmann-Kauz zu sehen sein. «Es ist natürlich mit Leipzig alles ein bisschen komplizierter geworden», weiss er. Vielleicht trete man künftig als Duo noch zweimal pro Woche auf, aus seiner Sicht auch gerne mehr in Deutschland, wo Strohmann-Kauz am 19. Februar 2021 mit «Sitzleder» ihre Premiere im Nachbarland feiern. Aber klar: «Es ist beiderseits viel Toleranz gefragt.»

Am 5. September nehmen Strohmann-Kauz den Faden wieder auf und spielen «Sitzläder» in Herzogenbuchsee. Danach folgt wöchentlich, beileibe kein Vergleich zum Frühjahr, ein Engagement. Am 12. September macht das Duo auf seinem satirischen Spaziergang in bewährter Weise Olten unsicher, eine Woche später bieten Kunz und Straumann in Fribourg ihre Kunst dar, auf Bestellung auch in Gärten und auf Balkonien. Und gegen Kollekte.

Gut, wird Rhaban Straumann nicht mehr allzu bange, wenn er sich die ab Oktober noch ziemlich blanke Agenda zu Gemüte führt.

65 Kurzgeschichten und ein Gedicht
Im Frühjahr hat Rhaban Straumann im Oltner Knapp Verlag den Essayband «Noch ist heute» herausgegeben. Das Werk besteht aus 65 Kurzgeschichten und einem Gedicht, ein Konzentrat aus zehn Jahren Schreibarbeit, wie er es nennt. Ein Konzentrat, wen wunderts, in welchem der Autor nicht nur ein optimistisches Bild der Welt zeichnet. «Es geht darin um Begegnungen und um Reisen», sagt er. «Man kann mit mir sozusagen eine Weltreise machen, aber ohne Anspruch auf Vollständigkeit.» So kann man ihm in zwölf Kapiteln vom Bündnerland bis in die Arktis folgen. In kurzen Texten, die sich vor allem durch eines auszeichnen: ihre schonungslose Ehrlichkeit.

Text: NIK & Bild: Remo Buess