Hans Sigrists «Hägendörfer Jahrringe 2021» / Anzeiger Thal Gäu Olten
Ein Glücksfall für seine Gemeinde: Hans Sigrist und seine gesammelten Jahrringe.

Der Herr der Hägendörfer Jahrringe

Hans Sigrist legt bereits die 8. Ausgabe seiner Ortsgeschichte vor

Sein aktuelles Werk kann die Hägendörfer Bevölkerung nächsten Samstag vor dem Coop abholen. Knapp 200 Seiten dick, mit 22 Beiträgen von zehn Autorinnen und Autoren bestückt und neuerlich das Ergebnis einiger tausend Stunden akribischer Arbeit. Die Rede ist von Hans Sigrists «Hägendörfer Jahrringe 2021». Es ist das achte Buch in der Reihe.

«Ich habe nie ein Konzept für ein neues Heft», versichert Hans Sigrist. «Die Inhalte ergeben sich einfach, die Geschichten laufen mir zu.» Wie jene der zwei Dutzend belgischen Flüchtlingskinder, die 1917, während des Ersten Weltkriegs, nach Hägendorf kamen. Diese packende Schilderung eines humanen Akts, von dem hundert Jahre später im Dorf nur noch einige wenige vom Hörensagen Bescheid wussten, bildet einen Schwerpunkt in der neuen Ausgabe – und gab mit Abstand am meisten zu tun. «Es war, wie wenn du irgendwo beginnst, Lack abzukratzen. Mit jeder Recherche kam noch mehr zum Vorschein», sagt der Autor. Klar, dass das für ihn irgendwann auch zur emotionalen Angelegenheit wurde.


In solchen Momenten bleibt die Türe zu seinem heimischen Büro auch mal eine Stunde länger zu als üblich. «Und ich weiss, dass ich ihn dann besser nicht störe », sagt seine Gattin Christa. Es sei aber nicht so, dass er sich tagelang in seinen Akten und Fotos vergrabe, sagt Sigrist. Und erntet zustimmendes Nicken. Will er seine Gedanken während des Entstehungsprozesses eines Kapitels ordnen, ist Velofahren, Wandern oder je nach Saison auch Gartenarbeit angesagt. «Jedenfalls ist es schön, dass du jetzt bei mir auf dem Sofa sitzen und einfach ein Buch lesen kannst», sagt Christa Sigrist.

Die Gefahr, zum Museum zu werden
Man schätzt ihn locker zehn Jahre jünger, aber im Juli feiert Hans Sigrist seinen 77. Geburtstag. Rechne: Mit etwas Glück und bei guter Gesundheit könnte er die zehn Jahrringe noch vollkriegen. Er lächelt – und winkt ab. Soweit voraus mag er nicht denken und erst gar nicht planen. Und doch: Erst am Vortag des Besuchs durch den Anzeiger hat ihm wieder jemand ein Couvert in die Hand gedrückt. Inhalt: Fotos und einige alte Dokumente. «Ich erhalte laufend irgendwelche Sachen und muss aufpassen, dass ich nicht zum Museum werde», sagt Sigrist. Denn eigentlich sei er gar nicht der Sammlertyp. Er nutze das Material für seine Arbeit, «danach übergebe ich es dem Gemeindearchiv».

Seine Arbeit sei «keine saure Sache» und «keine Pflichtübung», betont Sigrist. «Man muss raus, man muss mit den Menschen reden, nachhaken, um Geschichte( n) rekonstruieren zu können», ergänzt er voller Eifer. Und halt auch den Zufall annehmen, wenn er mitspielen will, wie die Begegnung an einer Beerdigung, als ihm ein alter Hägendörfer erzählte, sein Vater sei ein Störsager gewesen. Auf die Bitte Sigrists schickte ihm der Mann detaillierte Notizen zum Thema. Daraus entstanden ist das Kapitel «Brennholz rüsten» im neuen Buch, in dem Hans Sigrist beschreibt, dass angesichts beheizter Wohn- und Arbeitsräume gerne vergessen geht, dass es vor hundert Jahren viel Arbeit kostete, ehe man sich in die behaglich warme Stube setzen konnte.

Alle hatten eine Dorfchronik
Begonnen hat vor rund vierzig Jahren alles damit, dass man in der Bürgergemeinde fand, ringsherum jedes Dorf habe eine Chronik, nur Hägendorf nicht. Er schmunzelt. «Ich war Bürgerammann, also hiess es: Mach du das doch.» Und so fasste Sigrist damals einen angesichts seines Berufs als Oberstufenlehrer, seiner Familie und des Amtes als Bürgerammann äusserst weisen Entschluss, die Geschichte des Dorfes zu portionieren – und vor allem nicht den Anspruch zu haben, sie chronologisch aufarbeiten zu wollen. Zu Beginn, erinnert er sich, habe er noch darum kämpfen müssen, dass überhaupt die Kosten für das Buch gedeckt sind. Der Gemeindeammann und er seien bei ortsansässigen Firmen Geld sammeln gegangen. Das erklärt auch, weshalb die ersten Jahrringe nicht genau im Fünf-Jahres-Rhythmus erschienen sind. Längst aber sind die Finanzen geregelt, kriegt Hans Sigrist seine Spesen gedeckt und trägt nebst der Gemeinde auch der Lotteriefonds seinen Teil zur Deckung der Produktionskosten bei.

Konzept hat sich bewährt
Das Konzept, wie er es damals für sich definiert hat, hat sich bewährt. Er könne ein Thema so breit bearbeiten, wie er wolle. «Und auch in der Zeit, die ich benötige», betont Sigrist. «Ich bin mein eigener Herr und Meister.» Deshalb hütet er sich tunlichst davor, Nummer 9 anzukündigen und sich unter Druck zu setzen. «Aber dass es mir nach wie vor Spass macht, sieht man ja.» Dass die feierliche Herausgabe der «Jahrringe 2021» im Rahmen einer Vernissage durch die Pandemie verunmöglicht wird, bedauert er zwar. Aber die Sache auf später zu verschieben, war kein Thema für ihn. Das Buch liegt vor, jetzt soll es auch unter die Leute. «Genau dafür habe ich ja auch gearbeitet », erklärt er.

Übermorgen, am Ostersamstag, werden alle Hägendörferinnen und Hägendörfer ein noch fast druckfrisches Exemplar abholen können. Kostenlos, an einer Standaktion von 10 bis 13 Uhr vor dem Coop. Ab Dienstag, 6. April, sind die «Jahrringe » auch auf der Gemeindekanzlei erhältlich. Die Jahrgänge 1986 und 2016 sind übrigens mittlerweile vergriffen.

Den Herrn der Hägendörfer Jahrringe wird dieses Interesse freuen.

Hans Sigrists «Hägendörfer Jahrringe 2021» / Anzeiger Thal Gäu Olten
Vor den Weihnachtstagen 2020 fiel Hans Sigrist im Bauschutt rund um den Bilder: Dorfbrugg-Kreisel dieser grosse, behauene Kalkstein auf. Das Fundstück liess ihm keine Ruhe mehr – das Ergebnis seiner Recherchen ist bereits im Buch nachzulesen.

Text & Bild: NIK